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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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hatte.
    »D u meine Güte«, stöhnte ich. »E inen Moment habe ich wirklich geglaubt, Sie wären ein Bär oder so etwas. Die Luft hier drin ist wohl noch schlechter, als ich dachte. Ich halluziniere schon.«
    Mr Miller sah mich ohne die geringste Regung an. Er stand einfach nur still da, schien nicht einmal zu atmen.
    »S ie waren tatsächlich ein Bär«, stellte ich nüchtern fest. Und nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »I ch schätze mal, ich kann froh sein. Immerhin bedeutet es, dass mit meinem Verstand noch alles in Ordnung ist.« Zumindest im Augenblick noch.
    Er deutete neben mir auf den Boden. »D arf ich?«
    Ich war versucht, »S itz« oder »P latz« zu sagen, schluckte die Worte jedoch herunter und nickte nur. Er setzte sich neben mich, achtete jedoch darauf, Abstand zu halten. Ich war mir nicht sicher, ob er es tat, um mir die Angst zu nehmen, oder um nicht in Versuchung zu geraten, mich doch noch zu fressen.
    »E s gibt einiges zu klären«, sagte er.
    Den Eindruck hatte ich auch. Ich hatte tausend Fragen im Kopf, aber einen Schockknoten in der Zunge, der drei Viertel aller Worte aussortierte, bevor ich sie aussprechen konnte. Herauskam etwas, das klang wie: »W as… wie… das? Sie… Bär… ich…«
    Er lächelte nachsichtig. Dabei waren keine Reißzähne zu sehen. Ein gutes Zeichen, wie ich fand. »B är, Wolf, Löwe. Was gerade angemessen ist.«
    Wolf? Hundeähnlich? War es das gewesen, was ich während des Überfalls gehört hatte? Einen Wachmann, der sich in einen knurrenden Wolf– oh Mann, das klang sooooo lächerlich– verwandelt und meine Angreifer in die Flucht geschlagen hatte? »L etzte Woche war kein Hund bei Ihnen, oder?«
    »N ein. Du hast nur mich gehört.«
    »U nd was sind Sie?« Keine Ahnung, ob diese Frage unhöflich war, wenn man es mit einem Was-auch-immer zu tun hatte. Es war mir im Augenblick auch egal. Ich brauchte Antworten. Viele. Und schnell.
    »M an nennt es einen Wandler.«
    »W ie in Gestalt wandler?«
    »T ierwandler. Ich kann nicht die Form eines anderen Menschen annehmen.«
    »V ermutlich sollte mich das jetzt beruhigen, oder?«
    Der Anflug eines Lächelns ließ seine Mundwinkel zucken und zum ersten Mal, seit er in die Halle gekommen war, sah er wieder aus wie der Wachmann, den ich kannte. Der Mann, der mich gerettet hatte. Auch wenn er da kein Mann gewesen war. Seine Augen hatten dasselbe Blau wie die des Bären. Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, bevor meine Gedanken weiter in diese Richtung wandern und sich hoffnungslos verknoten konnten.
    »B is jetzt schlägst du dich ziemlich gut angesichts dessen, was du gerade gesehen hast.«
    »W as haben Sie erwartet?«
    »M ehr Panik. Definitiv ein paar hysterische Schreie.«
    »S ie haben meine vollen Hosen noch nicht gesehen.«
    »I ch habe eine gute Nase. Wären sie voll, dann wüsste ich es.«
    »E benso, wie Sie es wüssten, wenn ich nicht geduscht hätte.«
    Jetzt lachte er wirklich. »I ch bin froh, dass du es so sportlich nimmst.«
    »S portlich?« Mir klappte der Kiefer runter. »V erdammt, Mr Miller! Was… warum haben Sie das überhaupt getan?«
    Er wirkte immer noch amüsiert. »N enn mich Gus, Mädel.«
    »O kay, Gus. Warum haben Sie das getan?«
    »E s geht nicht nur darum, dass du lernst, dich zu verteidigen«, sagte er. »O ffensichtlich gibt es eine Menge, von dem du keine Ahnung hast. Dinge, die wichtig für deine Sicherheit sind. Ich hatte allerdings befürchtet, dass du mir meine Geschichte nicht abnehmen würdest. Also habe ich mich entschlossen, sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen.«
    »I ch würde sagen, das ist Ihnen gelungen.« Nach diesem Auftritt würde ich ihm vermutlich alles glauben. Ach, die Erde ist doch eine Scheibe? Sicher, warum nicht, Mr Miller. Gus.
    »W ird dir immer noch schlecht?«
    »W as hat das…?« Ich runzelte die Stirn. »N ein, seit letzter Woche nicht mehr.«
    »D u hast die Hasenpfote noch.«
    Ich zog den Talisman aus meiner Hosentasche und hielt ihn Gus entgegen. »I ch wollte sie Ihnen eigentlich schon früher geben, aber Sie hatten keinen Dienst.«
    »S chon in Ordnung. Im Gegensatz zu mir hast du sie gebraucht.« Er nahm sie, und in dem Augenblick, in dem er sie mir abnahm, überkam mich eine Welle der Übelkeit. Gus beobachtete, wie mir die Züge entgleisten und ich die Lippen im Kampf gegen den Brechreiz aufeinanderpresste. Schnell griff er in seine Hosentasche, zog etwas daraus hervor und drückte es mir in die Hand. »H ier, nimm das.

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