Wesen der Nacht
Vervollständigt wurde der trostlose Eindruck von einem windschiefen Holzschuppen, der sich am hinteren Ende an die Hauswand duckte.
Die ganze Zeit über hatte ich mir vorzustellen versucht, wie es wäre, hierher zurückzukommen– nach Hause. Ich hatte mir meine Freude und Begeisterung ausgemalt, ein Gefühl von Heimat. Was ich tatsächlich empfand, war nicht das, was ich erwartet hatte: Wieder hier zu sein, fühlte sich fremd an.
Ich schob den Gedanken beiseite und ließ meinen Blick weiterwandern. Dads Range Rover parkte nicht weit vom Schuppen entfernt– ein olivfarbener Klecks, der sich kaum von der dahinter wuchernden Wiese abhob. Wenn der Wagen hier war, mussten Dad und Trick ebenfalls… Meine Schritte wurden so schnell, dass ich der Tür fast entgegenflog. Schon griff ich nach der Klinke und drückte sie herunter. Knarrend schwang die Tür nach innen auf, schabte über den Boden und kam auf halbem Weg zu einem abrupten Halt. So abrupt, dass ich auf meinem Weg nach drinnen beinahe dagegen geprallt wäre. Erschrocken blieb ich in der Dunkelheit des winzigen Windfangs stehen. Ein paar Jacken hingen an den Garderobenhaken vor mir. Der Wagen. Die Jacken. Eine offene Tür. Sie waren zurück! Dad und Trick waren hier! Ich ließ meine Reisetasche fallen und stieß die Tür zu meiner Linken auf, die aus dem Windfang in die Küche führte.
»D ad? Trick? Seid ihr da?«
Natürlich waren sie da. Irgendwo. Vermutlich waren sie nur gerade rausgegangen. Unschlüssig drehte ich mich um und warf einen Blick zu der anderen Tür, die aus dem Windfang führte. Vielleicht waren sie im Wohnzimmer, oder hinten im Arbeitszimmer. Aber selbst dort hätten sie mich eigentlich hören müssen. Mein Blick blieb am Boden hängen. Hinter der noch halb geöffneten Haustür quollen Briefe und Zeitungen hervor, die beim Öffnen unter dem Briefschlitz zu einem Haufen zusammengeschoben worden waren. Die Post mehrerer Tage. Waren sie gerade erst heimgekommen und zu faul gewesen, alles aufzusammeln? Zuzutrauen wäre es ihnen, immerhin war das hier ein reiner Männerhaushalt und Trick hatte schon immer zu den Kandidaten gehört, die Dinge gerne auf die lange Bank schoben.
Ich ließ den Windfang hinter mir und betrat die Küche, die beinahe die Hälfte des Erdgeschosses einnahm. An der Wand zu meiner Rechten erkannte ich die alte Küchenzeile mit Waschbecken, Geschirrspüler, Kühlschrank und Herd. Die Schränke waren in dem fröhlichen Blau gestrichen, an das ich mich von früher erinnerte. Am hinteren Ende der Küche befand sich auf der linken Seite eine Tür zu einer Speisekammer und rechts führte eine steile Holztreppe nach oben, an deren Fuß mehrere Paar Schuhe aufgereiht standen. Unter der Treppe war eine Tür eingelassen, die in den Keller führte. Sie war mit einem Riegel verschlossen und für einen Moment fragte ich mich, was dort unten weggesperrt werden sollte, ehe mir bewusst wurde, wie dämlich dieser Gedanke war. Der Riegel erfüllte einzig und allein den Zweck, dass die Tür nicht ständig aufging. Schon in meiner Kindheit war der Rahmen von der Luftfeuchtigkeit so verzogen gewesen, dass sie einfach nicht zubleiben wollte. Damals hatte Dad diesen zusätzlichen Riegel montiert. Die Kommode neben der Kellertür kannte ich nicht. Dad musste sie in den letzten Jahren dazu gekauft haben. Das dunkle Holz passte ebenso wenig zu den blauen Küchenschränken wie der kleine Fernseher darauf in diesen Raum. Ein Fernseher in der Küche– typisch Männerhaushalt.
Gegenüber der Küchenzeile war ein Kamin in die Außenmauer eingelassen, der schon nicht mehr benutzt worden war, als ich noch hier gewohnt hatte. Davor stand ein großer Esstisch mit vier Stühlen. Derselbe Tisch, den ich von früher kannte, nur das Holz war dunkler geworden und voller Kratzer und Scharten. Eine Zeitung lag darauf, neben einem Teller, auf dem noch die Krümel eines Frühstückstoasts zu erkennen waren. Ich warf einen Blick auf die Zeitung, sie trug das Datum vom vorletzten Montag, dem Tag, an dem ich zum ersten Mal vom Jenseits gehört hatte. Mit wachsender Besorgnis erinnerte ich mich an Moms erfolglose Versuche, Dad zu erreichen. Ich hatte angenommen, dass er ihr nach dem letzten Streit aus dem Weg ging, während ich jedoch die Zeitung, den Teller und das schmutzige Geschirr im Spülbecken ansah und noch den Haufen Post hinter der Tür dazu addierte, kam ich zu dem Ergebnis, dass er und Trick seitdem tatsächlich nicht mehr hier gewesen waren. Ich kämpfte
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