Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
bedächtig und steckte sein Notizbuch wieder ein. Für den Moment hatte er keine weiteren Fragen mehr. Er wollte lieber ins Präsidium zurückfahren und sich in Ruhe Gedanken über die neuen Informationen machen.
»Richten Sie sich bitte darauf ein, dass wir uns in Kürze noch einmal bei Ihnen melden werden. Auch die Spurensicherung wird Ihnen einen Besuch abstatten. Möglicherweise hat Ihr Sohn weitere Nachrichten hinterlassen.«
»Ich bringe Sie zur Tür«, sagte Claus Winkelmann, ohne auf Jans Bemerkung einzugehen. »Es wird Zeit, dass wir etwas zur Ruhe kommen. Ihr Besuch hat uns alle ziemlich aufgewühlt.«
»Ich hatte nicht das Gefühl, dass es an uns lag«, antwortete Jan trocken. »Aber seien Sie sicher, wir werden herausfinden, was es mit dem Tod Ihres Sohnes auf sich hat.« Jan merkte selbst, dass seine Verabschiedung wie eine Drohung klang.
Als sich das große Stahltor vor ihnen öffnete, warf Jan noch einen letzten Blick zurück auf die imposante Villa. Als hätte er es geahnt, bewegte sich in diesem Moment eine Gardine in einem der oberen Fenster. Ehe Jan Einzelheiten erkennen konnte, wandte sich die Person wieder ab und verschwand.
* * *
Dreiundfünfzig Sekunden lang Intro. Dann:
»There’s a lady who’s sure – all that glitters is gold – and she’s buying a stairway to heaven …«
Jan saß hinter seinem Schlagzeug und konzentrierte sich auf seinen Einsatz. Led Zeppelin war etwas für Fortgeschrittene und Jan selbstkritisch genug, um zu wissen, dass er nicht zu dieser Gruppe gehörte.
»The Underdogs«, so hieß die Band, in der er spielte. Philipp am Bass, Elli an der Gitarre, Jens am Keyboard und der extrovertierte Tim am Mikro. Er war mit seinen siebenundzwanzig Jahren der Jüngste in der Band und der Einzige, der es musikalisch wirklich zu etwas hätte bringen können. Tim besaß eine extraordinäre Stimme, irgendwo zwischen Lenny Kravitz und Richard Ashcroft. Doch sein Phlegma hatte ihn versumpfen lassen, sodass er sich nun mit vier Hobbymusikern in einem muffigen Proberaum irgendwo in Enger herumschlagen musste. Jan hatte nie verstanden, wie man sein Talent derart verschwenden konnte.
4:19 – Jans Einsatz.
Er kam sofort aus dem Takt, weil das Handy in seiner Hosentasche unbarmherzig vibrierte. Jan gab seinen Kollegen ein Zeichen, die Session zu unterbrechen, und nahm das Gespräch entgegen.
»Hier spricht dein alter Herr«, erklang eine schlecht gelaunte Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Vater, was gibt’s?«, fragte Jan reserviert zurück.
»Ich denke, das weißt du selbst am besten. Wie kannst du so wenig Fingerspitzengefühl besitzen und derart pietätlos bei den Winkelmanns hereinplatzen? Glaubst du nicht, dass Bernhards Tod schlimm genug für die Familie ist?«
Jan war konsterniert und wusste einen Moment lang nicht, was er antworten sollte. Er verließ den kleinen Proberaum und ging auf den angrenzenden Flur, um ungestört mit seinem Vater reden zu können.
»Was soll denn das heißen?«, fragte er. »Kanntest du Bernhard Winkelmann etwa?«
»Nicht Bernhard«, entgegnete sein Vater ungehalten. »Claus natürlich! Wir waren Schulfreunde, eine Zeit lang konnte uns niemand trennen. In den letzten Jahren haben wir uns ein wenig aus den Augen verloren, doch der Kontakt ist nie ganz abgerissen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Wie so vieles!«
»Als wenn das meine Schuld …«
»Ich hätte euch wirklich mehr Anstand zugetraut«, unterbrach ihn sein Vater. »Wie konntet ihr Claus und Bernhards Frau so an den Pranger stellen?«
»An den Pranger stellen? Dass ich nicht lache. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie die Winkelmanns reagiert haben. In dieser Familie stimmt so einiges …«
»Hör mir auf mit dieser Leier! Das hast du ja schon in unserer Familie versucht. Weshalb ermittelt ihr überhaupt? Es handelt sich doch um Selbstmord.«
»Genau der muss aber erst noch festgestellt werden«, antwortete Jan knapp, um das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Sein Vater hatte es wieder einmal geschafft, ihm die Laune gründlich zu verderben.
»Ich will nicht, dass Claus sich noch einmal bei mir meldet, weil mein eigener Sohn ihn in die Mangel genommen hat. Ist das klar?«
Jans Protest blieb ihm im Halse stecken, als er merkte, dass sein Vater bereits aufgelegt hatte. Nachdenklich und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch ging er zurück in den Proberaum und setzte sich hinter sein Schlagzeug. Seine Bandkollegen spielten gerade die ersten Töne von
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