Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
»Champagne Supernova« von Oasis an. Tim begann die ersten Zeilen ins Mikro zu singen:
»How many special people change? – How many lives are living strange? – Where were you while we were getting high? – Slowly walking down the hall – faster than a cannonball.«
Tim klang derart kraftvoll und britisch, dass Liam Gallagher wahrscheinlich einen seiner berühmten Jähzornanfälle bekommen hätte. Trotzdem konnte sich Jan den sphärischen Klängen des Songs nicht hingeben. Die Gedanken an die Winkelmanns ließen ihn nicht mehr los. Jeder Einzelne von ihnen hatte sich sonderbar benommen, und es war offensichtlich, dass sie ihm nicht die volle Wahrheit gesagt hatten. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass sich hinter Bernhard Winkelmanns Tod weitaus mehr verbarg, als er sich im Augenblick vorzustellen vermochte.
Und dann gab es da noch seinen Vater und dessen unaufhörliches Bestreben, die patriarchalischen Strukturen, unter denen Jan so lange gelitten hatte, auch jetzt noch aufrechtzuerhalten, ohne einzusehen, dass sein Einfluss auf seinen Sohn längst verloren gegangen war.
Jan verpasste erneut seinen Einsatz, legte seine Drumsticks beiseite und entschuldigte sich bei seinen Bandkollegen. Dann verließ er den schwülwarmen Proberaum, trat hinaus in die angenehme Sommerluft und stieg in seinen Mini.
Es war kurz nach halb zehn, die Sonne senkte sich über die Getreidefelder, die das alte Fabrikgebäude, in dem sich der Proberaum befand, umrahmten.
Jan schaltete den CD -Wechsler ein, startete den Motor und drehte eine Smiths- CD laut auf. Während der trockene Schotter hinter ihm aufstaubte, gelang es ihm endlich, für ein paar Minuten den Kopf frei zu bekommen.
10
»Du bist, was du isst!«, sagte Mareike. »Oder wie es der Ayurveda formuliert: Der Mensch ist das Produkt seiner Ernährung.«
Jan stützte seinen Kopf in die Handflächen und beugte sich schlaftrunken über den Küchentisch. Es war kurz nach halb sieben, und er war hundemüde. Mareike stand vor dem Herd und beobachtete Getreideflocken, die in einem Topf Wasser vor sich hin köchelten. »Zum Glück bin ich ein Vata-Mensch. Das erlaubt mir, den Brei zu verfeinern. Mit Zimt, Ingwer oder Palmherzenzucker. Und mit in Ghee gedünsteten Früchten.«
»Wirklich ein Glück für dich«, antwortete Jan matt. »Was machst du denn da schon wieder?«
»Ich trinke ein Glas warmes, abgekochtes Wasser. Das heizt Agni an und wirkt entgiftend.«
»Was ist Agni?«
»Unser menschliches Verdauungsfeuer. Es existieren …«
»Ach nee, ich will’s gar nicht wissen«, unterbrach Jan seine Mitbewohnerin. »Das ist mir alles zu abgedreht. Ich esse morgens weiterhin mein Nutella-Brötchen und versuche, mit ‘nem starken Kaffee wach zu werden.«
»Dein Körper wird es dir nicht danken«, entgegnete Mareike ungerührt. »Probier’s mal mit Dinkelflocken, das ist das Richtige für Pitta-Typen wie dich.«
»Gott bewahre, hör mir auf mit diesem Zeug«, sagte Jan genervt. »Und dann lediglich in Wasser eingeweicht? Da musst du deinem Ayurveda-Gott leider sagen, dass er auf mich verzichten muss.«
»Es gibt keinen Ayurveda-Gott«, knurrte Mareike beleidigt.
»Bist du eigentlich immer so früh wach?«, wollte Jan auf einmal wissen. »Ich dachte immer, du schläfst noch, wenn ich aus dem Haus gehe.«
Mareike lachte und trank einen großen Schluck des lauwarmen Wassers. »Ich stehe üblicherweise zwischen drei und sechs Uhr morgens auf. Eigentlich frühstücke ich erst gegen neun, weil dann der Wechsel von der Kapha- in die Pitta-Zeit vollzogen und das Verdauungsfeuer angeheizt wird. Der Stoffwechsel kommt so richtig in Fahrt. Ich habe aber gleich einen Termin bei meiner Bank, deshalb frühstücken wir ausnahmsweise mal gemeinsam.«
»Ich dachte, du bist Vata«, sagte Jan verwirrt.
»Ach Jan, jeder ist doch Vata, Kapha und Pitta zugleich«, erklärte Mareike, während sie ihren Getreidebrei umfüllte. »Meist überwiegt jedoch ein Dosha.«
»Meine Güte, das klingt echt kompliziert.«
»Ist es gar nicht. Ich werde dich schon noch dazu bringen, dass du dich mit dir selbst auseinandersetzt, damit Körper und Seele im Reinen sind.«
Jans Handy brummte. Eine SMS . »Ich setze mich erst mal mit meinem iPhone auseinander, so ein Ding kann Körper und Geist nämlich auch ins Reine bringen.«
Mareike lächelte. Es war ein Lächeln irgendwo zwischen Unverständnis, Fürsorge und Hoffnungslosigkeit. Dann schnappte sie sich ihre Schale mit den aufgeweichten
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