Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Mühevoll stand er auf und entfernte sich einige Meter vom Geschehen. Dann sah er endlich Carolin. Sie lag in den Armen ihrer Mutter und weinte hemmungslos.
Jan atmete erleichtert aus, während er langsamen Schrittes über das Feld lief. Die aufgeregten Stimmen der Beamten, die sich um Brinkhoff kümmerten, wurden immer leiser.
Alles, was Jan jetzt noch verspürte, war der Drang, allein zu sein.
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Das Video war exakt elf Minuten und fünf Sekunden lang.
Jan hatte am Morgen bereits einige Ausschnitte gesehen und war nicht besonders scharf darauf, es nun in voller Länge anschauen zu müssen. Doch ausgerechnet Vera bestand darauf. Damit sie nachvollziehen konnten, wie weit André Brinkhoff und Maren Spilker tatsächlich gegangen waren, um einen Mann wie Bernhard Winkelmann zu erpressen.
Die DVD mit dem Video hatte zwischen anderen persönlichen Dingen in der ehemaligen Gärtnerei gelegen. Gleich neben zwei Flugtickets, Bernhard Winkelmanns Handy, einigen Flaschen Wodka, einer weiteren Waffe und einem Erpresserschreiben an Dagmar Winkelmann.
Heute war Montag. Seit dem Tod von Daniel Hövelmeyer waren gerade einmal neun Tage vergangen. Den meisten der Kollegen war die letzte Woche allerdings wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen.
Jemand hatte ein Notebook und zwei große Kannen Kaffee in die Mitte des großen Tisches im Besprechungsraum gestellt. Bettina erschien mit einem Tablett belegter Brötchen in der Tür. Die Stimmung unter den Kollegen war gelöst. Seitdem sie Carolin Winkelmann aus dem Haus in Brake befreit hatten, war endlich wieder ein wenig Normalität in den Kommissariatsalltag eingekehrt. Mit wenigen Ausnahmen. So hatten sie am gestrigen Sonntag bei der Beschlagnahmung von Bierfässern in Lemgo und Sennestadt Gift in drei weiteren Fässern festgestellt. Zum Glück noch bevor sie angestochen worden waren.
Jan sah sich um. Es waren alle da. Einzig Kai Stahlhut fehlte. Doch das störte niemanden, am wenigsten Jan. Er war froh, dass mit der Aufklärung des Falls fürs Erste auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen der Herforder Polizeiinspektion beendet war. Stahlhut war ein schwieriger Zeitgenosse, dem offenbar mehr daran lag, seine eigenen Eitelkeiten zu pflegen, als die Ermittlungen professionell voranzutreiben. Er war sogar so weit gegangen, bei den Winkelmanns zu ermitteln, obwohl es andere Absprachen gegeben hatte. Dass ausgerechnet einer wie er als Lockvogel von seinen Vorgesetzten ausgewählt worden war, blieb ihm ein Rätsel.
»So, Kinders, setzen!« Vlothoerbäumer klatschte in die Hände wie ein Lehrer vor einer Schar Grundschüler. »Ich mach’s ganz kurz, weil ich gleich noch einen Termin vor der Presse habe. Ich möchte mich bei euch für euren Einsatz bedanken. Auch wenn nicht alles so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt haben …«, er hielt kurz inne und richtete seinen Blick auf Jan, »… können wir zufrieden mit dem Erreichten sein. Es ist uns gelungen, den Fall innerhalb einer Woche aufzuklären und zu verhindern, dass weitere Menschen durch die vergifteten Fässer zu Schaden gekommen sind. Dass wir den tragischen Tod von Frank-Walter Winkelmann zu beklagen haben, ist überaus bedauerlich, aber von uns wohl nicht zu verhindern gewesen. Ich werde darauf an anderer Stelle noch einmal in persönlichen Gesprächen zurückkommen.« Obwohl Jan demonstrativ aus dem Fenster sah, spürte er den prüfenden Blick seines Chefs. Dass Vlothoerbäumer ihm vorwarf, falsch gehandelt zu haben, als er sich der Gärtnerei auf eigene Faust genähert hatte, wurmte ihn.
»… will ich euch nicht länger nerven. Vera übernimmt.« Vlothoerbäumer verabschiedete sich und verschwand eiligen Schrittes aus dem Besprechungsraum.
Vera Jesse zog wortlos das Notebook zu sich heran und klickte sich durch die Videosoftware. Dann platzierte sie den Bildschirm so, dass er für alle am Tisch einsehbar war, und startete den Film.
Das Amateurvideo begann mit einem Schwenk durch die Eingangshalle der Winkelmann’schen Villa. Jan erkannte einzelne Details. Die ausladende Treppe, die Türen zu den verschiedenen Zimmern, die teuren Vasen.
Plötzlich trat eine Frau ins Bild, zweifelsohne handelte es sich um Maren Spilker. Das dezente Dienstmädchen-Outfit hatte sie allerdings gegen ein durchsichtiges Negligé getauscht.
Es folgte ein Schnitt, und das Innere des Schlafzimmers von Bernhard und Dagmar Winkelmann war zu erkennen. Es war ganz in Weiß gehalten und im französischen Wohnstil eingerichtet. Das
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