Westmoreland 4 Das Wunder der Liebe
Großmutter jemals verstand. Und jetzt werde ich dir etwas sagen, was sie offenbar versäumt hat - eine einfache Wahrheit, die mehr wert ist als alle ihre absurden Phantasien. Und diese Wahrheit ist... « Sie ballte die Hände zu Fäusten und sagte mit vor Erregung zitternder Stimme: »Kein Mann möchte etwas mit einer Frau zu tun haben, die mehr weiß als er! Sobald sich in den Kreisen der feinen Gesellschaft herumspricht, wie belesen du bist, bist du ruiniert! Kein Mann mit einem gewissen Maß an Bedeutung wird dich mehr haben wollen. Du... wärst... ruiniert! «
5 .
Perlendes Lachen brachte Juliannas Gedanken aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. Sie lauschte den Geräuschen von Erwachsenen, die sich auf dem Maskenball benahmen wie übermütige Kinder, und fragte sich, wie viele Frauen heute wohl ihren guten Ruf »total ruinierten«. Den wiederholten Vorhaltungen ihrer Mutter zufolge war das auf vielfältige Weise möglich: durch Fehler, die die Frau machen konnte, indem sie beispielsweise zu intelligent, zu klug, zu belesen oder zu schlagfertig erschien. Das konnte ihre Aussichten auf eine glänzende Heirat entscheidend beeinträchtigen. Aber es gab da noch verhängnisvollere Fehler, die noch verhängnisvoller waren, weil sie jede Chance zerstörten, überhaupt heiraten zu können.
Das alles ist extrem albern, entschied Julianna aufgeräumt, als sie über die zahllosen Möglichkeiten nachdachte, die zum »totalen Ruin« führten.
Eine Frau konnte schon dadurch »total ruiniert« werden, daß sie sich mit einem Gentleman allein in einem Raum aufhielt, daß sie ihm erlaubte, eine gewisse Zuneigung zu ihr zu zeigen, oder auch nur einen dritten Tanz gestattete.
Als Julianna sich das alles durch den Kopf gehen ließ, kam sie zu der Erkenntnis, daß sie weit besser dran wäre, wenn sie sich eins der vielen »ruinösen« Vergehen hätte zuschulden kommen lassen. Dann, machte sie sich mit entwaffnender Logik bewußt, wäre sie nie der entsetzlichen Vorstellung einer möglichen Heirat mit Sir Francis Bellhaven konfrontiert worden.
Der Gedanke an ihn reichte aus, ihre vorübergehend gute Laune absterben zu lassen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie griff nach ihrem Taschentuch, stellte fest, daß sie keins bei sich hatte, und schniefte. Dann trank sie noch einen Schluck Brandy, aber ihre Hoffnung auf Besserung ihrer Stimmung erfüllte sich nicht.
Auch nachdem sein Zigarillo aufgeraucht war, verharrte Nicki noch eine Weile dort, wo ihn Valerie zurückgelassen hatte. Dann überlegte er, ob er sich nach rechts wenden und in den Garten zurückkehren sollte, oder tiefer in den Irrgarten hinein, bis er einen Pfad erreichte, der, wie er wußte, um das Haus herum führte und schließlich zu seinem Gästezimmer.
Er war müde, und sein Zimmer verfügte über ein großes und sehr behagliches Bett. Wenn ihn seine Mutter nicht ausdrücklich darum gebeten hätte, seine Fahrt aus London hier zu unterbrechen, um Valeries Mutter ihre Grüße zu überbringen, wäre er gar nicht zum Ball gekommen. Einem Brief seines Vaters zufolge hatte sich der Gesundheitszustand seiner Mutter so bedenklich verschlechtert, daß Nicki alles vermeiden wollte, was sie enttäuschen oder aufregen konnte. Und so drehte sich Nicki um und lief den gewundenen Weg hinunter, der aus dem grünen Labyrinth in den Garten führte - bereit, heute abend seine gesellschaftlichen Verpflichtungen und morgen die als Sohn zu erfüllen.
6 .
Julianna war fest überzeugt, daß ihr »totaler Ruin« Sir Francis dazu veranlassen würde, seinen Heiratsantrag zurückzuziehen. Wie sie es überleben sollte, wenn ihre Eltern ihr daraufhin ihre Liebe und Zuneigung entzogen, wußte sie allerdings nicht. Erneut schniefend senkte sie den Kopf, kniff die Augen zusammen und suchte Zuflucht im Gebet. Sie bat ihre Großmutter, ihr einen Weg zu zeigen, wie sie sich ruinieren konnte. Dann hielt sie es für klüger, sich gleich an eine noch höhere Instanz zu wenden, und legte Gott ihr Problem dar. Ihr schoß durch den Kopf, daß der Herr eine solche Bitte nicht erfüllen würde, wenn er über ihre Notlage nicht umfassend informiert war, und so begann sie Gott ausführlich die Gründe zu erläutern, warum sie um ihren Ruin flehte. Sie war gerade bei der möglichen Heirat mit Sir Francis Bellhaven angelangt und brach in herzzerreißende kleine Schluchzer aus, als sich eine Stimme aus der Dunkelheit meldete - eine volle, wohltönende Männerstimme fragte nicht ohne
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