Westwind aus Kasachstan
muß ich Sie enttäuschen. Ich bin kein Vielesser.«
»Warten wir es ab. Die Tasche wird am Abend leer sein.« Sie betraten das Schiff, und gleichzeitig stieg am Mast die russische Fahne empor. Denissow grüßte sie in strammer Haltung.
»Beginnt jeder Ausflug so feierlich?« fragte Köllner.
»Die Fahne ist ein Symbol. Jetzt erst sind wir komplett. Rußland ist bei uns.«
Der Skipper, ein Mann mit finsterem Gesicht, struppigen Haaren, blauer Hose und blauem Pullover, kam vom Flaggenhissen und meldete sich. Dabei warf er einen langen Blick auf Köllner und schnaubte mit der Nase.
»Alles in Ordnung?« fragte Denissow, diesmal auf russisch.
»Wie befohlen, Towarischtsch.«
»Laß das alberne Towarischtsch, Igor.«
»Jawohl, Towarischtsch.«
Er drehte sich zackig um und verschwand zu seinem Steuerstand im Salon. Der Chauffeur löste die Leinen an der Landungsbrücke und warf sie ins Meer. Bevor Denissow an der Reling war, hatte Köllner das Tau schon in den Händen und zog es ein.
»Danke!« sagte Denissow. »Ich sehe, Sie sind an Seekameradschaft gewöhnt.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
Vom Steuerstand gab der finstere Skipper ein kurzes Hornsignal. Dann sprang der Motor an, und das Boot glitt langsam vom Steg weg in die Bucht und hinaus in die offene See. Der Chauffeur blickte ihnen nach, schob die Unterlippe vor, wandte sich ab und ging zu der Wolga-Limousine zurück. Ohne sich noch einmal nach dem Boot umzusehen, verließ er die Halbinsel Porkkala.
Die Fahrt ging zunächst an der Küste entlang, vorbei an grünen Inselchen und zerklüfteten Küsten mit tiefgrünen Nadelwäldern. Dann drehte das Boot bei und fuhr in das sonnenglitzernde Meer hinaus. Schnell verschwand der Küstenstreifen, und dann war nur noch Wasser um sie, leichtbewegte Wellen und das Geschrei der Möwen, die sie begleiteten.
Denissow stand in der Eignerkabine und zog sich aus. Er trug modische Schwimmshorts mit bunten Streifen in allen Farben. Sein Körper war kräftig und muskelbepackt wie der eines Ringers.
»Wollen Sie im Anzug schwimmen?« rief er Köllner zu, der im Salon auf einer gepolsterten Eckbank saß. »So scheußlich ist er nun doch nicht!«
»Sie haben vergessen, mir eine Badehose zu kaufen.«
»Dann schwimmen wir ohne alles. Hier sind keine Frauen, die kreischen.« Denissow streifte seine Schwimmhose herunter. »Oder haben Sie Hemmungen vor mir?«
»Sehe ich so aus?«
Auch Köllner zog sich aus. Dann ging er hinaus auf Deck und ließ den Fahrtwind über seinen Körper streichen. Durch das Fenster am Steuerstand beobachtete ihn der Skipper und schnaubte wieder durch die Nase. Denissow kam zu ihm und warf einen Blick auf das Radarbild.
»Wann sind wir an der Stelle?« fragte er.
»In knapp einer Stunde, Towarischtsch.«
»Du sollst nicht –«
»Ich weiß, Towarischtsch.«
Denissow gab es auf und ging auch hinaus an Deck. Er stellte sich neben Köllner und starrte ins Meer.
»Wollen Sie jetzt schwimmen oder später?«
»Das überlasse ich Ihnen.«
»Ich meine später. Wir sollten die Sonne ausnutzen.«
Sie legten sich auf das Vorderdeck, blickten in den Himmel. Über den kleine, weiße Federwolken zogen, und schwiegen eine Weile. Plötzlich sagte Köllner und drehte den Kopf zu Denissow:
»Ich habe Sie verkannt. Es tut mir leid.«
»Das passiert mir öfter.« Denissow hob den Arm und winkte ab. »Wenn ich grob zu Ihnen war … die Situation erforderte es. Und jetzt haben wir wieder eine andere Situation …«
»Ich beginne, Sie sympathisch zu finden.«
»Das sollten Sie sich überlegen, Herr Köllner. Ich tauge nicht für Freundschaften. Ich bin sehr launisch.«
»Dann haben Sie jetzt eine sanguinische Phase.«
Sie lagen in der warmen Herbstsonne und schwiegen wieder. Köllner war etwas eingenickt und wurde durch einen kurzen Hupton aufgeschreckt. Für Denissow hieß das Signal: Wir sind da.
»Was ist los?« fragte Köllner, noch etwas benommen.
»Hier können wir schwimmen.« Denissow setzte sich und blickte wieder über das Meer. Das Boot hatte angehalten, ein Treibanker rasselte ins Wasser, vom Steuerstand kam der Skipper an Deck und zog dabei seinen Pullover aus. »Hier ist es, Towarischtsch«, sagte er.
»Ein guter Platz.« Denissow wandte sich Köllner zu. »Die See ist heute auffallend ruhig. Es ist ja auch fast windstill. Was halten Sie davon: Hinein ins Naß!«
Er kletterte über die Reling, stieß sich von der Bordwand ab und hechtete ins Meer. Köllner folgte ihm, sein
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