Westwind aus Kasachstan
nicht fallen als jetzt unnütze Person?
»Ich habe das seit langem geplant. Es ist stumpfsinnig, immer nur in einem Zimmer zu hocken. Auch ich komme selten aus diesem Bau heraus und möchte mal wieder frische Seeluft atmen. Ich liebe die See.« Denissow wurde schwärmerisch. »An Deck liegen, den Möwen nachschauen, der Geruch des Meeres, den Wind über den Körper streichen lassen und einfach träumen, fern von Zeit und Raum … so etwas braucht die Seele.«
»Ich entdecke eine völlig neue Seite an Ihnen.«
»Sie haben mich für einen Eisenfresser gehalten, was?«
»Sie waren kalt wie eine Totenhand.«
»Das ist ein sinniger Vergleich.« Denissow lachte kurz auf. Sein Wikingergesicht strahlte. »Wenn das Wetter anhält, fahren wir übermorgen los. Das ist Sonntag.«
»Ich habe das Zeitgefühl verloren.«
»Am Sonntag sind Tausende Segler unterwegs. Ein herrliches Bild. Hätte man mich nicht in den diplomatischen Dienst aufgenommen, ich wäre Seemann geworden.«
»Als KGB-Wächter auf einem Kreuzfahrtschiff.«
»Es ist schwer, sich mit Ihnen zu unterhalten. Immer werden Sie politisch oder polemisch.« Denissow setzte sich und schlug eine Akte auf. Ein Zeichen, daß die Unterredung beendet war und er arbeiten wollte. »Sonntag um sieben Uhr geht es los. Je früher wir auf dem Boot sind, um so länger ist der Tag.«
»Und wenn es regnet?«
»Dann muß ich mir etwas anderes einfallen lassen.«
Am Sonntag, pünktlich um sieben, stiegen sie in eine Wolga-Limousine. Die Fenster waren verhängt, und ein Chauffeur der Botschaft saß am Steuer. Als die Tür zuschlug, war es, als hätte man einen Tresor geschlossen. Das ist eher ein Panzer als ein Auto, dachte Köllner.
Er konnte nicht sehen, wohin sie fuhren. Die Vorhänge waren dicht und undurchsichtig. Im Wagen lag ein Halbdunkel, als wäre nicht heller Tag, sondern Morgendämmerung. Denissow rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er schien ungewöhnlich nervös zu sein, war sehr wortkarg und zeigte gar keine fröhliche Ausflugsstimmung.
»Fahren wir allein?« fragte Könner.
»Ja.«
»Werden Sie das Boot steuern?«
»Nein, wir haben einen Skipper an Bord. Ich habe zwar mein Schiffsführerpatent, aber ich will mich erholen.« Plötzlich, nach etwa einer Stunde Fahrt, hielt der Wagen. Denissow drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.
»Da sind wir«, sagte er. »Ich habe ganz vergessen, Sie etwas zu fragen.« Er sah Köllner ernst an. »Werden Sie seekrank?«
»Bisher habe ich alle Fahrten überlebt. Und ich bin im Mittelmeer viel gefahren, ein paarmal bei Windstärke 7. Das sind schon anständige Wellen.«
»Da gibt es ein Phänomen.« Denissow öffnete die Wagentür. Erst jetzt sah Köllner, daß sie die ganze Zeit verriegelt war. Er mußte lächeln. Welch eine Angst haben die Russen, daß ich ihnen abhaue. »Viele Menschen werden seekrank, wenn die See ruhig oder nur leicht bewegt ist. Das Schlingern dreht ihnen den Magen rum. Ich kenne einen Kapitän, der ein großes Schiff fährt. Er ist auf allen Meeren zu Hause, kennt Orkane mit haushohen Wellen, aber wenn er im Urlaub von Bremerhaven nach Helgoland fährt, wird er grün im Gesicht.«
»Genauso, wie es Seeleute geben soll, die nicht schwimmen können.«
»Ja, das ist völlig verrückt. Sie können schwimmen?«
»Wie eine Robbe.«
Es war ein herrlicher Sonnentag, nicht zu warm, fast windstill. Unten in einer kleinen Bucht der Halbinsel Porkkala lag ein weißes Motorboot von ungefähr 14 Metern Länge mit Fly bridge, Radarmast und einem kleinen Beiboot. Am Bug war der Name deutlich lesbar: Leningrad.
»Auf dieses Boot dürfen Sie aber den Bürgermeister von Sankt Petersburg nicht einladen«, meinte Köllner sarkastisch.
»Wir hatten noch keine Zeit, den neuen Namen aufzumalen.« Denissow lachte, zum erstenmal seit ihrer Abfahrt von der Botschaft. »Am besten wäre ein Wechselrahmen. Man weiß ja nie, wie und wann sich die Zeiten ändern.« Er dehnte sich und wölbte tief atmend die Brust heraus. »Ist das nicht eine köstliche Luft? Die muß man inhalieren. Die fegt das ganze Nikotin aus der Lunge. Habe ich Ihnen zuviel versprochen?«
»Nein. Es ist ein schönes Fleckchen Erde.«
Sie gingen hinüber zum Landesteg. Der Chauffeur trug eine schwere Segeltuchtasche hinter ihnen her, die prall gefüllt war. Köllner schüttelte den Kopf.
»Wenn das alles zu essen und zu trinken ist, kann man uns am Abend waagrecht ausladen. Das reicht für zehn!«
»Es ist vor allem für Sie.«
»Da
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