Westwind aus Kasachstan
identifizieren wird man den nackten Körper auch nicht. Nirgendwo liegt eine Vermißtenanzeige vor. Ein Unbekannter. Vielleicht sogar Selbstmord.
Am Montag morgen rief Denissow in Moskau an und verlangte General Dubrowin.
»Etwas Bedauerliches muß ich melden, General«, sagte Denissow mit Trauer in der Stimme. »Köllner ist tot.«
Er hörte, wie Dubrowin mit der Faust auf den Tisch schlug. Er antwortete mit schneidender Stimme: »Wie ist das möglich? Sie waren für seine Sicherheit verantwortlich, Jakob Mironowitsch!«
»Er ist ertrunken.«
»Ertrunken? In der Badewanne?«
»In der Ostsee.«
»Wie konnte Köllner an die Ostsee kommen?« brüllte Dubrowin. »Er ist Ihnen entwischt?!«
»Nein, ich war dabei, General.«
»Wiederholen Sie das. Ich glaube, ich habe mich verhört.«
»Gestern war Sonntag –«
»Das weiß ich auch!«
»Ich wollte angeln und schwimmen gehen. Es war hier in Helsinki ein wundervoller Tag. Nimm Köllner mit, habe ich mir gesagt. Dann hast du ihn auch hier unter Kontrolle. Mit dem Boot der Botschaft sind wir hinausgefahren. Aber im Herbst ist auf das Wetter kein Verlaß mehr. Ganz plötzlich kam starker Wind auf, das Meer schien sich aufzubäumen, es ist ja bekannt, daß bei Sturm die Ostsee extrem hohe Wellen haben kann. Das Boot wurde hin und her geworfen, Brecher schlugen über uns zusammen, und eine solche Riesenwelle riß Köllner ins Meer. Unmöglich, ihn zu retten. Der Sog zog ihn weg. Wir haben lange, auch noch als es ruhiger wurde, die Stelle abgesucht. Aussichtslos.«
Dubrowin hatte sich den Bericht stumm angehört. »Es war ein Fehler von Ihnen, Jakob Mironowitsch, Köllner mitzunehmen.«
»Das sehe ich jetzt auch so. Andererseits –«
»Was andererseits?«
»Köllner hat seinen wiederauferstandenen Onkel nicht gesehen und ist so nie in die Lage gekommen, für den CIA zu arbeiten. Dieses Problem ist nun gelöst.«
»Er hätte nie Gelegenheit gefunden, mit dem CIA in Verbindung zu kommen.«
»Köllner nicht, aber der CIA mit ihm! Sie wissen selbst, wie aktiv die Burschen sind. Nach Gorbatschows Glasnost kamen sie wie die Schmetterlinge ins Land. Bei jeder Abrüstungskommission ist einer dabei. Sie wären früher oder später auch auf Köllner gestoßen. Das ist nun vorbei.«
»Bei seiner Tante in Nowo Grodnow hätte er nicht mehr daran gedacht, noch einmal Agent zu werden.«
»Für Geld hätte er alles getan. Das hat er mir selbst gesagt.«
»Haben Sie die finnische Wasserwacht verständigt?«
»Nein. Warum?«
»Wegen der Suche.«
»Wir sollten uns nicht darum kümmern«, erwiderte Denissow mit ruhiger Stimme. »General, wenn sie Köllner finden, lassen Sie ihn einen Unbekannten sein. Es ist für den diplomatischen Frieden nötig.«
»Da haben Sie mal wieder recht!« sagte Dubrowin ungehalten und legte auf.
Dieser Denissow! Er ist in Finnland am falschen Platz, er müßte in Washington sein.
V. TEIL
Ewald Bergerow vom Deutschen Kulturzentrum in Ust-Kamenogorsk übernahm es, Weberowskys Familie zu verständigen. Er war zwei Tage nach dem Attentat im Krankenhaus erschienen und blickte erschüttert durch die große Glasscheibe in der Intensivstation auf das eingefallene Gesicht von Weberowsky. Er erkannte ihn kaum wieder. Es war ein fremdes Gesicht, zerklüftet und eingefallen, ein Kopf – so kam es Bergerow vor – der zusammengeschrumpft war, wie um die Hälfte kleiner. Der Chefchirurg, der Bergerow gerufen hatte, nachdem er von Frantzenow erfahren hatte, daß der Verletzte ein Rußlanddeutscher und Bauer in Nowo Grodnow war und die Organisation der Rußlanddeutschen helfen könnte, stand schweigend neben ihm. Frantzenow hatte ihm gesagt, daß sein Schwager in diesem Dorf wohnte, aber wo es genau lag, ob Weberowsky Telefon hatte, wie man Erna, seine Frau, benachrichtigen konnte, darauf wußte Frantzenow keine Antwort.
»Ich hatte nie Zeit, meine Schwester zu besuchen«, sagte er. »Ich habe ihr immer nur schreiben können, bis der Kontakt abriß. Ich weiß jetzt, warum.«
Bergerow dagegen war genau informiert. »Weberowsky hat kein Telefon. Es gibt im Dorf nur zwei Anschlüsse, einen bei der Post und einen bei Pfarrer Heinrichinsky. Ich halte es für besser, den Pfarrer anzurufen. Er wird den richtigen Ton treffen und kann Erna beistehen.«
Der Chefchirurg wartete, bis Bergerow sich mit zusammengekniffenen Lippen vom Fenster abwandte. »Wir haben getan, was möglich ist«, sagte er. Es klang wie eine Entschuldigung. »Bei dieser Verletzung sind uns
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