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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Vergangenheit und eine schal werdende Erinnerung. Er lebte seit neun Jahren in der Männerstadt Kirenskija, und die Stadt war stolz auf ihn, weil sein Name von Wissenschaftlern in der ganzen Welt mit Achtung ausgesprochen wurde.
    Die westliche Welt war deshalb erschüttert, als vor neun Jahren der Tod von Andrej Valentinowitsch Frantzenow vom Kreml bekanntgegeben wurde. Herzinfarkt. Absolute Überarbeitung. Ein Opfer der Forschung. Das sowjetische Fernsehen sendete sogar einen kurzen Bericht von der feierlichen Beerdigung des großen Atomspezialisten. Es war der Tag, an dem in Kasachstan der TV-Empfang durch atmosphärische Störungen unterbrochen wurde. So erfuhr niemand in Kirenskija, daß Professor Frantzenow, der an diesem Abend mit seinem Kollegen Beznakin eine Partie Schach spielte, nicht mehr lebte und am Schachbrett ein Phantom sitzen mußte. Überhaupt erfuhr niemand in der Stadt, daß Frantzenow gestorben war, am allerwenigsten er selbst, und da das große Volk andere Sorgen hatte, als an einen Atomforscher zu denken, war sein Tod schon nach einer Woche vergessen.
    Genau das war die Absicht der Großen in Moskau. Das Ziel ausländischer Spionage und möglicher Liquidierung gab es nicht mehr. Auch der vierteljährliche Urlaub bereitete keine Sorgen. Man hatte genaue Informationen, daß sich Andrej Valentinowitsch in seinem Ferienort und bei den dann schnell eroberten Frauen nur mit Iwan vorstellte und mit einem umwerfenden Lächeln sagte: »Wenn Ihnen das nicht genug ist, greifen Sie nach dem ganzen Kerl.« Und die Frauen griffen danach.
    Der einzig heikle Punkt war nur die Tatsache, daß Frantzenow deutscher Abstammung war. Er war ein Wolgadeutscher, mit seinen Eltern 1941 von Stalin nach Kasachstan vertrieben, hatte in Alma-Ata und später in Moskau studiert, lebte vier Jahre in der Akademikerstadt Akademgorodok und hatte sich zu einem Atomspezialisten entwickelt, bei dem man die deutschen Vorfahren vergessen mußte. Er war natürlich Mitglied der Kommunistischen Partei, hielt am Tage der Oktoberrevolution die Festrede des Institutes und war – davon war man überzeugt – ein echter Russe, der nur einen deutschen Namen trug; aber auch den hatte man ins Russische umgebogen. Aus Frantzen war Frantzenow geworden. Aber das war schon vor fast zweihundert Jahren geschehen, als die Deutschen aus Dankbarkeit für das Land an der Wolga und ihr neues Leben in die Umwandlung ihrer Namen einwilligten.
    Soweit bekannt war, lebte nur noch eine Schwester von ihm. Erna Frantzenow, verheiratet mit Wolfgang Antonowitsch Weberowsky in Nowo Grodnow, mitten in Kasachstan. Bauer und Bürgermeister. Ein völlig unbekannter Mann, einer unter Millionen, unauffällig, fleißig und dadurch erfolgreich. Ein typischer deutscher Bauer mit einer Tradition, die bis zu den ersten Wolgadeutschen reichte. Der KGB schloß die Akten Weberowsky. Keine Gefahr. Und so erfuhr auch Erna nicht, daß ihr berühmter Bruder Andreas offiziell gestorben und feierlich in Moskau begraben worden war. Alle ihre Briefe, die sie an ihren Bruder schrieb, kamen nicht zurück, sondern verschwanden. Eine Anfrage in Moskau blieb unbeantwortet. »Daran mußt du dich gewöhnen, Erna«, sagte Wolfgang in seiner direkten Art, die ein Fremder Grobheit genannt hätte. »Er ist berühmt … und es gibt manche berühmte Männer, die sich schämen, daß ihr Vater ein Flickschuster oder ein Bauer gewesen ist. Denk an ihn, aber lauf ihm nicht nach. Schade um jedes Papier, das du beschreibst.«
    Aber Erna schrieb dennoch heimlich Briefe an Andrej, den sie immer noch Andreas nannte. Einer muß ankommen, dachte sie jedesmal, wenn sie zu Ende geschrieben hatte. Und dann meldet er sich!
    Aber Andrej Frantzenow blieb stumm. Da Erna an seine Moskauer Adresse schrieb, eine andere kannte sie ja nicht, wurde jeder Brief zu der Akte Frantzenow gelegt, nachdem er von einem Beamten der Atombehörde gelesen worden war. Die Nachricht, daß der Genosse Andrej Valentinowitsch gestorben sei, schickte man seiner Schwester nicht zu; auch ihre Anfrage beim nuklearen Forschungsinstitut blieb ohne Antwort.
    Frantzenow war für die übrige Welt tot. Seine Welt hieß nur noch Kirenskija.
    An einem dieser endlosen Abende, die auch Kino, Schachspielen oder Fernsehen nicht freundlicher machten, klingelte bei Frantzenow das Telefon, ein Telefon, das nur für die Kunststadt Kirenskija installiert und sonst nicht zu erreichen war.
    »Guten Abend, Andrej Valentinowitsch«, sagte eine tiefe Stimme. Es war

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