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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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deutsche Ahnen habe, was spielt das für eine Rolle?«
    »Sie haben deutsches Blut in sich.«
    »Ist russisches Blut anders als deutsches Blut? Die chemische Zusammensetzung ist die gleiche. Alles andere wird hineingedichtet!« Frantzenow trank seinen Wein aus. Es ließ sich bei aller Willenskraft nicht vermeiden, daß seine Hand leicht zitterte. »Worauf wollen Sie hinaus, Kusma Borisowitsch?«
    »Die gute Nachricht: Gorbatschow hat mir anvertraut, daß man im Kreml beabsichtigt, den Deutschstämmigen freie Hand zu lassen in der Entscheidung: Rückkehr nach Deutschland, in die Heimat … oder zurück an die Wolga, wo man ihnen Land geben wird.«
    »Der dritte Neuanfang.«
    »Wenn man es so sieht, ja. Jeder hat die freie Wahl: zurück nach Deutschland oder eine neue Wolgarepublik.« Nurgai goß die 200-Gramm-Gläser erneut voll Wein. »Das gilt nun auch für Sie. Sie können nach Deutschland zurück.«
    »Ich kenne Deutschland ja gar nicht. Was soll ich dort? Ich denke und fühle russisch. Insofern trifft mich die Nachricht nicht.«
    »Überlegen Sie alles in Ruhe, Andrej Valentinowitsch. Ein Spezialist wie Sie wird überall mit offenen Armen empfangen. Es wird in den nächsten Monaten viel Revolutionäres geschehen, das sage ich Ihnen. Kommt es wirklich zu einem Atomstopp, geht das Rennen um Männer wie Sie los. Man wird goldene Berge vor Ihnen aufschaufeln.«
    »Ich bin nicht käuflich. Wie können Sie so etwas denken?«
    »Auch da gibt es ein russisches Sprichwort: Meinen Leib kannst du haben, meine Seele nicht! Es gibt genug Russen, die ihren Leib ins Ausland verkauft haben, aber mit der Seele Russen bleiben und bei einem russischen Lied in Tränen ausbrechen. Ehrlich, ich habe Angst um Sie.«
    »Würden Sie für ein Millionenangebot ins Ausland gehen?«
    »Wir sind unter uns, keiner hört uns, wir haben keine Zeugen. Ich sage: Ja!«
    »Kusma Borisowitsch!« rief Frantzenow entsetzt. Fast wäre er aufgesprungen. »Das sagen Sie? Ausgerechnet Sie? Der Wissenschaftler und hohe Funktionär?!«
    »Ich bin jetzt fünfundfünfzig Jahre alt. Ich kann noch, so Gott will, dreißig Jahre leben. Habe ich für diese dreißig Jahre in Rußland eine Zukunft? Wenn mir aber jemand einen Millionenvertrag bietet, habe ich dreißig Jahre Freude, Glück und Sicherheit vor mir.«
    »Sie wären fähig, das zu tun?«
    »Ja. Ein klares Ja.« Nurgai beugte sich wieder zu Frantzenow vor. »Deshalb habe ich Angst um Sie. Sie sind von uns beiden der bessere Mann, Rußland braucht Sie, auf mich kann es verzichten. Zu Ihnen werden zwei Lockvögel kommen: Rückkehr nach Deutschland oder die Abwerbung durch einen anderen Staat!«
    »Es gibt für mich eine solche Alternative nicht! Ich verachte jeden, der sich verkauft.«
    »Das erleichtert meine Seele.« Nurgai hob sein Glas. Seine Augen leuchteten. »Mein Geist war wankelmütig, aber mein Herz sagte mir, daß Sie ein wirklicher Russe sind. Man sollte mehr auf sein Herz hören. Pojechali !«
    An diesem Abend konnte Frantzenow nach langer Zeit wieder einmal nicht einschlafen. Er lag wach bis zum Morgen, starrte an die Zimmerdecke und wiederholte im Geist alles, was er von Nurgai gehört hatte. Zum erstenmal spürte er einen Druck in der Brust, wenn er an Deutschland dachte.
    Wirf diese Sentimentalität weg, sagte er zu sich. Du bist ein Russe! Ja, als Kind war das anders. Da hast du in der Kinderabteilung der Volkstanzgruppe mitgetanzt, hast eine Tracht mit bunten Bändern getragen und einen schwarzen, großkrempigen Filzhut, und im Kinderchor der Schule hast du mitgesungen. Hoch auf dem gelben Wagen. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten. Das Wandern ist des Müllers Lust. Aber dann bist du auf das Gymnasium gekommen, und dort hat man dich verwandelt. Von da ab gab es nur Auseinandersetzungen mit deinem Vater, und einmal hatte der Vater ihn angeschrien: »Laß die sowjetischen Parolen weg in meiner Gegenwart! Hier ist ein Stück Deutschland und kein Ableger der Lubjanka!«
    Lubjanka, das berüchtigte Gebäude des KGB. Der Name allein ließ einen zittern.
    Damals hatte er sein Elternhaus für immer verlassen. Erna, seine ältere Schwester, hatte ihn zum Bahnhof begleitet und zum Abschied gesagt: »Komm wieder zurück, Andreas. Wir alle warten auf dich … auch Vater. Du bist doch ein Frantzen, das kann man doch nicht einfach wegwerfen. Andreas, komm zurück.«
    Erna, seine weizenblonde Schwester. Was mag aus ihr geworden sein? Sie hatte den Bauern Weberowsky geheiratet und drei Kinder geboren.

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