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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kusma Borisowitsch Nurgai, der Leiter der geheimen Atomforschung Kirenskija, ein anerkannter Wissenschaftler, aber zugleich auch ein Oberst des KGB und Mitglied der Deputiertenkammer der KP von Kasachstan. In dieser Eigenschaft reiste er oft nach Moskau, besaß vortreffliche Verbindungen zur Spitze des Politbüros und bekannte sich sofort zu Glasnost und Perestroika, als Gorbatschow seine Reformen verkündete und ein modernes Rußland jenseits aller knebelnden Doktrinen versprach. Er geriet dadurch in einen internen Konflikt mit den alten KGB-Genossen, die ihre unheimliche Macht beschnitten sahen und sich verschworen hatten, Gorbatschow das Leben und das Regieren so schwer wie möglich zu machen. Und als der Komet Jelzin am politischen Himmel erschien, war es bei den ewig Konservativen fast eine Ehrensache: Widerstand durch Sabotage, Verzögerungen und Ignorierungen. Nurgai, mehr Wissenschaftler als KGB-Genosse, stand von da an abseits. Ihn hielt nur noch seine Freundschaft zu den Reformern im Amt.
    »Ich hätte Sie gern gesprochen«, sagte Nurgai freundlich. »Kommen Sie zu mir, privat, heute abend noch. Es ist etwas zu besprechen, etwas Wichtiges für Sie.«
    »Ich komme, Kusma Borisowitsch.« Frantzenow blickte verwundert auf seinen Telefonhörer, als höre er nur Rauschen. Nurgai wollte ihn sprechen. Ausgerechnet Nurgai, zu dem der Kontakt bisher sehr neutral gewesen war. Man munkelte in der Stadt, daß Nurgai es nicht ertragen konnte, wissenschaftlich im Schatten von Frantzenow zu stehen. Neid und aussichtsloser Ehrgeiz sollten sein Wesen geprägt haben. Das war auch Frantzenow zu Ohren gekommen, und er verstand es nun, warum Nurgai ihm immer unterkühlt gegenübergestanden hatte. Und jetzt die abendliche, private Einladung. Es paßte nicht zu dem Bild, das Nurgai von sich selbst gezeichnet hatte.
    »Muß ich irgend etwas mitbringen?« fragte Frantzenow. Ein Gefühl der Besorgnis warnte ihn. »Irgendwelche Unterlagen?«
    »Bringen Sie gute Laune mit, Andrej Valentinowitsch.« Nurgai schien selbst in bester Stimmung zu sein. »Eine Flasche Krimwein steht bereit, also, bis gleich.«
    Etwas ratlos legte Frantzenow auf. Gute Laune, Krimwein … das war im Zusammenhang mit Nurgai absurd. Was braute sich da zusammen? Es war durchaus Nurgais Art, Unangenehmes mit Sarkasmus zu umkleiden. Was aber konnte es in der Geheimstadt Kirenskija Unangenehmes geben? Mehr als die angekündigte Vernichtung der Atombomben konnte es nicht geben, ein Forschungsstop wäre ein unaufholbarer Rückfall, Kirenskija wäre überflüssig, die Wissenschaftler würden mit den Händen im Schoß untätig herumsitzen. Sind Gorbatschow und Jelzin in ihrer Verneigung vor dem Westen zu weit gegangen? War es dies? Warum wollte Nurgai unbedingt mit ihm sprechen? Mit ihm, der nur zaghaft in den Jubel der ›befreiten‹ Russen einstimmte.
    Man wird schon sehen, dachte Frantzenow. Sei auf der Hut, Andrej.
    Er nahm sein Jackett von der Garderobe, kämmte sich noch einmal die weißen Haare und nickte seinem Spiegelbild zu. »Das Duell gewinnst du!« sagte er zu ihm. »Alter Junge, bisher hast du immer gesiegt.«
    Nurgai erwartete ihn wie einen guten Freund. Er umarmte Frantzenow, was diesen noch vorsichtiger machte, und führte ihn ins Wohnzimmer. Es war ein großer Raum, ausgestattet mit den Einheitsmöbeln, mit denen alle Wohnungen von Kirenskija eingerichtet worden waren. So saßen sich also Nurgai und Frantzenow an einem runden Holztisch gegenüber. Eine Flasche tiefroten Krimweins stand zwischen ihnen, dazu zwei Allzweckgläser, aus denen man Limonade, Wasser, Wodka oder auch den edlen Wein trinken konnte. Es waren die sogenannten 200-Gramm-Gläser, an denen sich ein Wodkatrinker orientierte.
    »Sehe ich richtig?« begann Nurgai das Gespräch. »Sie wundern sich, Andrej Valentinowitsch?«
    »Es ist Ihre erste Einladung seit neun Jahren.« Frantzenow lächelte höflich. »Sollte man sich da nicht wundern?«
    »Ein Vorwurf?«
    »Nur eine Feststellung, Genosse.«
    »Bleiben wir doch privat und lassen den Genossen weg.«
    »Wie Sie wünschen, Kusma Borisowitsch.«
    Nurgai entkorkte die Flasche und goß die 200-Gramm-Gläser voll. Der tiefrote Wein schimmerte im Deckenlicht, als leuchte er von innen.
    Nurgai war gebürtiger Kasache. Sein Vater stammte aus der Gegend von Kasa – links am Aral-See – und war Mitglied des Fischerei-Kombinats Lenin gewesen. Die Mutter kam aus Perm, jenseits des Urals, und Nurgai wußte bis heute nicht, wie ein Permer Mädchen

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