Westwind aus Kasachstan
spüren? Wir sind auch in Kasachstan nur geduldet. Nein, ich will hinaus in die Freiheit!« Weberowsky sah den Pfarrer fordernd an. »Und wie ist es mit dir, Peter?«
»Natürlich komme ich mit! Ich habe doch nicht dreißig Jahre lang das falsche Gebet gesprochen: Herr, gib uns unsere Heimat wieder …«
»Das ist gut.« Weberowsky erhob sich von der Kirchenbank und sah hinauf zu dem aus Birkenholz geschnitzten Christus hinter dem Altar. »Wenn ein Pfarrer vorangeht, glaubt man an das Gute seines Tuns.«
Im Haus wartete Erna auf Wolfgang Weberowsky. Er sah sofort, daß sie geweint hatte; ihre Augen waren rot umrändert.
»Gottlieb?« fragte er knapp.
»Nein, Wolferl … Eva.«
»Was sie auch plötzlich sagt … sie kommt mit!« sagte Weberowsky laut.
»Wenn du sie zwingst, will sie weglaufen in die Steppe.«
»Sind denn alle verrückt geworden?« Seine Stimme wurde wieder zu dem von allen gefürchteten Brüllen. »So eine Familie habe ich nun großgezogen! Mutter, ich bin soweit: Laß sie tun, was sie wollen! Wir ziehen nach Deutschland! Bleiben sie zurück, gehören sie nicht mehr zu uns! Und ich weine keine einzige Träne um sie!«
Erna schwieg. Gegen das Brüllen kam sie nicht an. Aber als er Luft holte, sagte sie ganz einfach und leise: »Mann, du versündigst dich an deinen Kindern.«
Es war einer der wenigen Augenblicke im Leben Weberowskys, in denen er sprachlos war und keine Entgegnung fand.
Er ging hinaus in den Garten, schlug die Tür hinter sich zu und setzte sich auf die Bank neben dem Tomatenbeet. Wann er zurück ins Haus gekommen war, konnte Erna nicht sagen – es mußte tief in der Nacht gewesen sein, und da schlief sie fest.
Mit seiner Tochter Eva sprach Weberowsky vier Tage lang kein Wort.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach bei München ist die Zentrale der Aufklärung, wie man Spionage vornehm umschreibt. Es ist ein großer, vielfach gegliederter Bürokomplex, durch eine hohe Mauer und spezielle Sicherungen geschützt, nur zu betreten mit einem Sonderausweis und seit seinem ersten Chef, dem legendären General Gehlen, mit einem mystischen Glorienschein umkränzt. Zu Unrecht, nichts ist nüchterner als die Arbeit in einem Geheimdienst. Einen 007 gibt es nur im Film. Dafür gibt es in Pullach eine Menge Beamte, die die aus aller Welt einlaufenden Meldungen auswerten und ein Bild der gegenwärtigen Weltlage zusammensetzen. Es ist ein alltägliches Puzzlespiel, das nur durch seltene Sonderaktionen unterbrochen wird, die nie im James-Bond-Stil ablaufen. Geheimdienste anderer Staaten mögen dramatische Situationen erleben, in Pullach beherrscht eher Ruhe und Stille das Geschehen.
An einem Freitag ließ sich der Referent für innerdeutsche Sicherheit, Egon Kallmeier, bei seinem Präsidenten melden und legte ihm ein dünnes Dossier auf den Tisch.
»Alle Zweifel sind ausgeräumt«, erklärte er. »Die Observationen haben ein klares Bild ergeben. Wir haben Fotos, die eigentlich ein Geständnis überflüssig machen. Uns sind drei geheime Briefkästen bekannt, wir besitzen Unterlagen über Treffen mit V-Männern und zwei Führungsoffizieren. Wir sollten jetzt zugreifen …«
Der Präsident öffnete das Dossier, blätterte darin herum, betrachtete ein paar Fotos und nickte.
»Eine gute Arbeit, Herr Kallmeier. Jetzt haben wir ihn. Wie lange macht er das schon?«
»Seit sieben Jahren …«
»Du meine Güte! Nicht auszudenken, was auf die andere Seite gewandert ist. Und das kommt raus, das sage ich Ihnen! Bonn ist wie ein durchlöcherter Käse. Da quellen die Geheimnisse nur so heraus! Ist der Außenminister schon unterrichtet?«
»Noch nicht … eben wegen der Löcher im Käse. Wir wollten eindeutige Beweise vorlegen können, bevor wir Genscher informieren. Er könnte einen neuerlichen Herzanfall bekommen, wenn er davon hört. Aber jetzt … wir müssen plötzlich zugreifen, ehe unser Mann gewarnt wird. Ich schlage vor, sofort die Bonner Staatsanwaltschaft zu alarmieren, bevor unser Vogel davonfliegt. Er scheint etwas zu ahnen. Seit einer Woche sind die toten Briefkästen leer. Es wäre eine Blamage, wenn ihm der Sprung zu seinen Auftraggebern gelingt.«
Die Rede war von Karl Köllner. Er war ein Mann Mitte der Dreißig, eine unauffällige Erscheinung mit einer Halbglatze, Referent im Außenministerium und ein fleißiger, stiller Beamter. Er hatte Jura studiert und seinen Assessor gemacht, um dann in den auswärtigen Dienst einzutreten. Drei Jahre diente er als Attaché der
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