Westwind aus Kasachstan
Michail Sergejewitsch, kennst du den Ural? Kennst du da das Gebirge von Anjuis – hoch oben im Norden von Sibirien? Da gibt es Tausende von großen Höhlen, wo man Raketen und Atomsprengköpfe verstecken kann. Rußland ist so groß – man kann es nicht kontrollieren. Aber nein, das Gegenteil tut er. Ein ehrlicher Mann betrügt seinen Partner nicht! Wird Amerika jemals ein Partner sein? Ich muß lachen über diese Vision. Stellt euch das vor, Genossen: Amerikanische Experten spazieren in Kirenskija herum! Und man zeigt ihnen alles. Wofür haben wir eigentlich jahrzehntelang gearbeitet?« Der General hatte sich in Hitze geredet. »Ich wiederhole«, rief er, »so geht es nicht weiter. Wo bringt uns Gorbatschow noch hin? Auch im Politbüro regt sich Widerstand, ich kenne einige Minister, die sofort handeln würden, wenn man Gorbatschow entmachtet. Selbst das Volk wird mitmachen. Es hungert, die Läden sind leer, die Versorgung ist miserabel, aber der Schwarzmarkt steht in voller Blüte und einige Halunken werden damit Millionäre! Und was macht Gorbatschow? Er schränkt den Verkauf von Wodka ein! Welch eine revolutionäre Tat! Zum Weinen ist es, Genossen, aber Weinen hilft uns nicht. Es muß gehandelt werden. Die Perestroika wird im Chaos enden. Es hat ja schon begonnen! Der Mann auf der Straße spricht es aus: Früher war alles besser. Wir müssen das Früher wieder herstellen, Genossen.«
Der General setzte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Zuhörer klatschten in die Hände, die Begeisterung war groß. Weg mit Gorbatschow. Aber wer gab das Signal, und wann war die beste Stunde?
In Kirenskija traf die erste amerikanische Delegation ein. Ein General, zwei Colonels, zwei Majore und ein junger Captain als Adjutant. Sie wurden auf dem Flugplatz von Kusma Borisowitsch Nurgai empfangen und in die geheimnisvolle Stadt gefahren. Im Hauptquartier der Truppe, im Stabsgebäude, hatte man für sie Zimmer bereitgestellt. Zimmer mit Blick auf einen ummauerten Hof.
Drei Tage vorher hatte es bei der Mitteilung aus Moskau, daß die US-Offiziere kommen würden, eine Diskussion zwischen Nurgai und Professor Frantzenow gegeben.
»Sie wollen wirklich die Amerikaner nach Kirenskija hineinlassen, Kusma Borisowitsch?« hatte Frantzenow empört gerufen.
»Es ist eine Anordnung aus Moskau, Andrej Valentinowitsch. Ich muß gehorchen.«
»Sie hätten in schärfster Form protestieren müssen!«
»Wozu die Mühe? Ein Befehl aus Moskau ist endgültig, seit über siebzig Jahren sind wir daran gewöhnt.«
»Dann war unsere ganze Arbeit umsonst!«
»Nicht umsonst, wo denken Sie hin? Die Forschungsunterlagen sind bereits auf dem Weg nach Irkutsk und werden dort versteckt. Auch Ihre Pläne über die Entwicklung einer atomgetriebenen Atomrakete, die keine Entfernung kennt und jeden Punkt der Welt erreichen kann, sind in Sicherheit. Sehen Sie das alles nicht so verbissen ernst, Andrej Valentinowitsch. Wir werden diese Amerikaner wie kleine neugierige Jungen behandeln und ihnen das zeigen, was wir wollen.«
»Daß es überhaupt zu diesem entwürdigenden Besuch kommt! Amerikaner in Kirenskija!«
»Glasnost! Können Sie es ändern?« Nurgai lächelte breit. »Passen Sie auf, man wird Ihnen ein Angebot machen! Sie haben Ihren Preis. Setzen Sie ihn so hoch an, daß den Amerikanern die Luft wegbleibt. Aber sie werden zahlen, weil man Sie braucht.«
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Ich bin nicht käuflich! Wer Rußland für Geld verläßt, sollte für immer ausgestoßen sein. Sie denken anders, ich weiß es. Nurgai, ich würde Sie verachten, wenn Sie es täten!«
»Mich wird niemand fragen.« Nurgai stieß sich von der weißgekachelten Wand ab. Das Gespräch hatte in Frantzenows Labor stattgefunden. Sicherheitstrakt Stufe eins. Durch drei Schleusen und drei Wachen mußte man hindurch, ehe man das Innere betreten durfte. »Nur eine Bitte hätte ich …«
»Wenn ich sie erfüllen kann?«
»Sie können es. Seien Sie höflich zu den Amerikanern. Die Zeiten haben sich geändert, die Welt dreht sich irgendwie anders, wir befinden uns in einer Phase des dauerhaften Tauwetters. Das, was man kalter Krieg nannte, Block gegen Block, Westen gegen den Osten, ist Historie. In ein paar Jahren wird man den Kopf schütteln, daß so etwas überhaupt einmal möglich war.«
»Heißt das, daß wir es aufgeben werden, Kommunisten zu sein?«
»Warten wir es ab, Andrej Valentinowitsch. Wir Russen waren schon immer für Überraschungen
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