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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Händen spüren.«
    Doch etwas nachdenklich geworden, verließ Weberowsky das Amtsgebäude und sah die Beljakowa und Zirupa auf der Straße stehen. Sie schienen auf ihn gewartet zu haben, denn Katja rollte ihm entgegen und stellte sich ihm in den Weg.
    »Na, wieviel Rubelchen hast du ihm gegeben?« schrie sie. »Wieviel kostet so ein Urteil? Aber er täuscht sich, der gierige Kiwrin.«
    »Geh mir aus dem Weg«, sagte Weberowsky und schob sie mit einem Ruck zur Seite.
    »Schon wieder greift er mich an!« kreischte die Beljakowa. »Semjon Bogdanowitsch ist mein Zeuge! Ich habe in meinem Schußbuch neunzehn Kopfschüsse eingetragen – du bist der zwanzigste! Mach daß du wegkommst, du deutscher, schiefmäuliger Hund.«
    »Warum haßt du mich eigentlich? Was habe ich dir getan?«
    »Ich hasse alle Deutschen!«
    »Und warum?«
    »Er fragt noch, warum! Hörst du das, Semjon Bogdanowitsch? Warum …« Die Beljakowa begann vor Erregung zu zittern. Ihr dicker Leib wogte auf und nieder. »Damals, 1942, war ich ein junges hübsches Mädchen, ob du's glaubst oder nicht, ich war es! Ganz jung habe ich geheiratet. Iwan Semjonowitsch Kalguri, ein lustiger, ein kräftiger, ein lebensfroher Mensch. Wie habe ich ihn geliebt! Aber ihr Deutschen habt unser Land überfallen, und ihr kamt näher und immer näher, und Iwan mußte die Uniform anziehen und wurde nach Stalingrad geschickt, um euch aufzuhalten. Man fand ihn in den Trümmern eines Hauses, mit sieben Schüssen im ganzen Körper. Ein deutsches Maschinengewehr hatte ihn erfaßt. Ich hätte wahnsinnig werden können, aber dazu hatte ich keine Zeit. Hintereinander wurden von euch Deutschen erschossen – mein ältester Bruder, mein Vater, mein mittlerer Bruder, der Sohn meiner Tante, mein jüngster Bruder. Nur ich allein blieb übrig. Und ich schwor mir: Du bist eine gute Schützin, du hast Bären und Wölfe gejagt, Hirsche und Füchse, du triffst einen Vogel hoch oben im Ast, geh hin und treffe jetzt die Köpfe dieser verfluchten Deutschen! Ich meldete mich bei einem Frauenbataillon als Scharfschützin. Jetzt weißt du alles. Und du fragst mich, warum ich dich hasse!«
    »Ich habe deinen Vater und deine Brüder nicht erschossen.«
    »Ob du oder jemand anders, du bist ein Deutscher! Ihr seid nie Russen geworden, auch wenn ihr russisch sprecht und eure Kinder kein Deutsch mehr! Ein hochnäsiges Pack seid ihr für mich! Angehörige eines Mördervolkes!«
    Die Beljakowa drehte sich um, ging zu Zirupa zurück und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Gehen wir, Semjon Bogdanowitsch«, sagte sie, und plötzlich weinte sie. »Ich mußte es ihm sagen. Er wird mich nie wieder anfassen, um nicht so zu sein wie seine Brüder drüben in Deutschland. Komm, Semjon, heute ist wieder ein Stück von mir gestorben.«
    Weberowsky sah ihr nach, bestieg dann seinen Traktor und fuhr davon. Tausend Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, und immer wieder verdichteten sie sich zu einem großen Gedanken: Wir müssen weg. Mein Gott, wir müssen weg. Wer weiß, was aus diesem Rußland noch wird, wie es in fünf oder zehn Jahren aussieht. In Deutschland sind wir sicher, auch wenn wir wieder arm sein werden. Aber wir sind frei, frei und ohne Angst. Ein Glück, daß es Gorbatschow und Jelzin gibt. Sie machen uns den Weg frei, aber ihre Reformen werden unter den Knüppeln des Widerstandes stöhnen. Wird der reiche Westen helfen, daß Rußland nicht völlig auseinanderbricht?
    Zu Hause empfingen ihn Erna, Eva und Gottlieb. Während die Frauen aufatmeten, sagte Gottlieb in seiner rebellischen Art:
    »Du kommst tatsächlich zurück? Sie haben dich nicht ins Loch gesteckt? Fesselt eine Heldin der Nation und läuft noch frei herum! Ist das nicht ein Beweis, daß es das alte Sowjetrußland nicht mehr gibt? Jetzt streichelt man, statt mit der Faust dreinzuschlagen.«
    Weberowsky sah seinen Sohn starr an. Er hatte keine Lust, sich auf einen Streit einzulassen. Er hatte für diesen Tag genug gehört.
    »Du bist noch einer dieser Idioten, die Stalin verehren«, sagte er nur.
    »Zumindest schätze ich ihn!« antwortete Gottlieb trotzig. »Bei ihm herrschte Ordnung.«
    »Durch Genickschüsse! Wenn das deine Welt ist, such dir ein anderes Nest als das, in dem du geboren wurdest.« Und zu Erna sagte er: »Pack mir den kleinen Koffer, ich fahre nach Ust-Kamenogorsk.«
    »Was willst du denn dort?« fragte Erna verblüfft.
    »Ich muß mit Ewald Konstantinowitsch Bergerow sprechen.«
    »Wer ist denn das?«
    »Ein Mitglied des

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