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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Reifen aufgeschlagen, ganze Keile herausgetrennt. Sie waren unbrauchbar geworden, als hätte man sie gesprengt. Und der Täter hatte seine Visitenkarte hinterlassen, nur konnte man nicht daraus ersehen, wie er hieß. Er hatte mit Kreide an das Blech des Traktors geschrieben:
    ARSCH!
    Weberowsky betrachtete die Schrift, umkreiste seinen Traktor, entschied, daß seine Gedanken auf der richtigen Spur waren, und machte sich zu Fuß nach Hause. Er mußte drei Stunden laufen, bis er Nowo Grodnow erreichte, es war schon weit nach Mitternacht, und Erna wartete immer noch auf ihn. Mit schweren Beinen trat er ein, setzte sich auf die Ofenbank und sagte müde:
    »Sie haben meinen Traktor lahmgelegt. Alle Reifen zerhackt.«
    »Mein Gott!« Erna faltete die Hände. »Jetzt greifen sie uns an!«
    »Nein, nur mich. ARSCH, haben sie an den Traktor geschrieben. Das ist ein persönlicher Krieg.«
    »Und die Reifen! Die Reifen! Woher bekommst du neue Reifen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich werde die abgefahrenen wieder aufziehen müssen.«
    »Aber die rutschen dir doch weg auf dem Feld.«
    »Du weißt, wie lange es dauert, neue Reifen zu bekommen. Anträge, Warten, Anfragen, dumme Antworten, Warten. Die Zuteilungsquote ist längst überschritten.« Weberowsky klemmte die Hände zwischen die Knie. »Ich könnte Reifen bekommen, aber damit gebe ich wertvolle Munition aus der Hand.«
    »Dann tu es, Wolferl.«
    »Ich habe Zirupa, ja, ich habe ihn! Ich kann ihm den Hals umdrehen. Aber wenn ich mein Wissen gegen vier Reifen eintausche, kann Zirupa den Kopf wieder in den Nacken werfen! Und die Flugblätter erscheinen weiter.«
    »Was ist für uns wichtiger? Die Flugblätter oder der Traktor? Leben wir von Papier? Gräbt ein Flugblatt die Spätkartoffeln aus? Kann ein Flugblatt Furchen aufreißen, kann es pflügen? Wolferl –«
    »Du bist eine unersetzliche Frau, Erna.«
    »Ich bin die einzige, die dir gegen den dicken Kopf hämmern kann.«
    »Und dafür danke ich dir.« Er stand auf, kam auf sie zu, zog sie an sich und küßte die Verblüffte auf den Mund. »Was wären wir ohne dich? Bestimmt keine Familie mehr. Schon morgen gehe ich zu Semjon Bogdanowitsch und tausche mein Wissen gegen die Reifen.« Er hob die Stimme und zugleich auch die Faust. »Aber das sage ich dir auch: Ich bekomme den, der das an meinen Traktor geschrieben hat! Er wird seinen eigenen Arsch nicht wiedererkennen!«
    Ein Bauer ohne Traktor ist der bedauernswerteste Mensch, vor allem, wenn man soviel Land zu bearbeiten hat wie Weberowsky. Er zögerte deshalb nicht mehr, schon am nächsten Tag zur Sowchose ›Bruderschaft‹ zu fahren. Er stieg auf ein altes Fahrrad, das seit Jahren nicht benutzt worden war, und strampelte mit verbissener Miene die Straße hinunter. Er kam sich lächerlich vor auf dem quietschenden Gefährt und mußte ein paarmal ab- und wieder aufsteigen, weil er oft das Gleichgewicht verlor. Immerhin gelang es ihm, in gerader Haltung bei der Sowchose anzukommen und vor dem Büro abzuspringen wie ein Profiradler. Zirupa, der ihn durch das Fenster beobachtete, grinste vor sich hin und war gespannt, was Weberowsky zu ihm trieb. In einem Nebenraum saß die Beljakowa an einem Tisch und brütete das neue Flugblatt aus. Thema: Was können wir tun, die Aussiedlung der Deutschen zu beschleunigen?
    »Willkommen!« rief Zirupa mit gespielter Begeisterung, die wie ein Tritt wirkte. »Was führt dich zu mir, Wolfgang Antonowitsch?«
    »Nur eine Kleinigkeit, Semjon Bogdanowitsch.« Weberowsky setzte sich unaufgefordert Zirupa gegenüber. Er schlug die Beine übereinander und verbreitete einen zufriedenen Eindruck. Das ließ in Zirupa Verdacht aufsteigen. Wenn Weberowsky sich ihm gegenüber so freundlich benahm, kam eine große Sauerei auf ihn zu. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn Weberowsky fuhr fort: »Ich möchte mir ein Schweinchen abholen.«
    Zirupa starrte Weberowsky ungläubig an. »Du hast doch selbst genug Schweine. Außerdem weißt du, daß wir an keine Privatpersonen verkaufen, was immer auch die Sowchose herstellt. Alles muß abgeliefert werden – bis auf den genau festgelegten Eigenbedarf.«
    »Ich möchte ein schönes, dickes Schwein von dir geschenkt bekommen.«
    Zirupa war einen Augenblick sprachlos. »Geschenkt?« fragte er dann gedehnt. Hat Wolfgang Antonowitsch den Verstand verloren, dachte er dabei. Schon daß er auf einem Fahrrad herumfährt, ist ungewöhnlich. Man kennt ihn nur auf seinem Traktor, den er über alles lieben mußte. »Geschenkt?«

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