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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Teelache zerfloß auf der Platte.
    »Sie sehen das so. Aber amtlich –«
    »Ich weiß. Ich war ja bis jetzt ein Toter! Mit einem blumengeschmückten Grab und einer Beerdigung, die das Fernsehen übertragen hat.«
    »Da sehen Sie, was Sie uns wert sind«, sagte Nurgai sarkastisch.
    »Wenn ich schon so wertvoll bin, was wird nun aus mir nach den Reformen?«
    »Unser Atomminister Viktor Michailow wird für Sie sorgen. Ich habe bereits einen Ruf nach Moskau bekommen, als Ressortleiter im Kurtschatow-Atominstitut. Ich nehme an, Sie bekommen eine bessere Stelle. Natürlich nicht für 15.000 Dollar, sondern für höchstens 7.000 Rubel. Immerhin, das ist ein Gehalt, von dem andere Russen träumen.«
    »Bis auf die Schieber, die als Leichenfledderer die ehemalige Sowjetunion ausschlachten. Ich habe erst gestern im Radio gehört, daß es eine Menge neuer Millionäre gibt. Es muß überall ein schreckliches Durcheinander herrschen. Hier erfährt man ja nichts. Keiner weiß, was wird, niemand kann sagen, wie die einzelnen Republiken handeln werden. Rußland, das wie eine Mutter alle nun selbständigen Staaten unter ihrem Rock sammeln will, wird von ihren Kindern laufend betrogen und belogen, jeder will nur Geschäfte machen, untereinander und mit ausländischen Staaten. Alle wollen schnell reich werden, während die Leute wieder vor den Geschäften anstehen, aber der unbezahlbare Schwarzmarkt floriert. Soll das ein neues starkes Rußland werden?«
    »Wir müssen uns damit abfinden, daß Reformen Opfer kosten.« Nurgai hob die Arme. Es war eine Geste der Hilflosigkeit und Handlungsohnmacht. »Ein Umbau ist immer komplizierter und macht mehr Dreck als ein Neubau. Alles braucht seine Zeit. Am meisten die Sicherung des Weltfriedens. Und davon sind wir noch weit entfernt, trotz nuklearer Abrüstung. Kasachstan wird bestimmt Schwierigkeiten machen, andere werden ihm nacheifern. Das plötzliche Machtdenken ist zu groß. Aber was können wir tun? Nichts!«
    »Ich habe Vertrauen – wenigstens in Jelzin.«
    »Mir geht es nicht anders.« Nurgai schob nachdenklich die Unterlippe vor. »Nur – was ist Jelzin wirklich in den Augen des Volkes? Einerseits eine Art Volksheld, der die Eisenklammern des Kommunismus abstreift, andererseits ein laut brummender Bär, der an einer langen Kette angepflockt ist und eins über den Rücken bekommt, wenn er zu sehr an ihr zerrt. Ich sage immer wieder: Warten wir ab.«
    »Sie wissen mehr, Kusma Borisowitsch, als Sie sagen.« Frantzenow stand auf und machte Anstalten, zu gehen. »Wann und wohin will Moskau mich versetzen?«
    »Ich schwöre, dieses Mal weiß ich gar nichts. Ich schwebe genauso im luftleeren Raum wie Sie. Nichts hat man mir mitgeteilt, gar nichts. Ich weiß nur, daß Sie zu der Handvoll Wissenschaftler gehören, auf die Rußland nie verzichten wird. Eine große und verdiente Ehre für Sie. Vor allem als Deutschrusse.«
    »Reiten Sie nicht immer auf dem ›Deutsch‹ herum!« erwiderte Frantzenow unwillig. »Wenn Sie mich damit ärgern wollen, ist das die falsche Vokabel.«
    Er verließ das Kasino, ging zurück in seine Wohnung, wo mittlerweile das Glas im Fenster ersetzt worden war. Er warf sich auf das Sofa, starrte zur hellgelb gestrichenen Decke hinauf und kam sich irgendwie verloren vor. Die Langeweile griff nach ihm.
    Er hatte zu nichts Lust. Um sich aus der Leere zu flüchten, dachte er an Erna, seine Schwester in Nowo Grodnow, und an die Familie Weberowsky.
    Plötzlich kam ihm ein Neffe in Erinnerung, der schon lange in Deutschland lebte. Der Sohn seiner jüngsten Schwester, die im damaligen Leningrad gelebt hatte. Karl Köllner. Oder Karl Viktorowitsch Köllnerow, wie er getauft worden war. Er wußte auch nicht, warum er jetzt an ihn dachte. Er hatte nie mit ihm in Verbindung gestanden, er wußte nur, daß es ihn gab und daß er in Deutschland lebte. Ob Erna wußte, was aus diesem Karl geworden war?
    Frantzenow schloß die Augen und vergaß Köllner schnell wieder. Er beschloß, eine Schallplatte aufzulegen. Aber über diesen Gedanken schlief er ein und wachte erst am späten Abend wieder auf. Die Haustürklingel ließ ihn aufschrecken. Er ging hinaus, öffnete, aber niemand stand draußen. Er sah sich kopfschüttelnd nach allen Seiten um. Die Straße lag einsam da, umsäumt von Häusern, in denen noch kein Licht brannte. Eine tote Straße in einer toten Stadt.
    Erst beim Schließen der Tür sah er den Brief, der in der Ecke lag. Er bückte sich, riß das Kuvert auf und fand darin

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