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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dachte sich nichts dabei. »Wir leben, wie wir immer gelebt haben. Harte Arbeit von früh bis spät. Aber wenn man ihre Früchte sieht, ist man glücklich. Mittlerweile bin ich zum Dorfvorstand gewählt worden.«
    »Und es stimmt, daß ganz Nowo Grodnow nach Deutschland auswandern will?«
    »Ich hoffe es. Wer hierbleibt, wird es sehr schwer haben. Die Häuser werden von Kasachen oder Russen gekauft werden und die zurückgebliebenen Rußlanddeutschen wie Feinde behandelt. Und sie werden sich nicht wehren können, sie werden eine Minderheit sein, um die sich niemand kümmert. Wer ein bißchen Verstand hat, kommt mit uns.«
    Frantzenow brachte zuerst die aufgebackenen pelmini hinein, dazu dicke, duftende Salzgurken und in Essig eingelegte Pilze. In der Küche brodelte das Salzwasser mit den Nudeln.
    »Was sagen deine Kinder dazu?« fragte er.
    »Hermann ist mit einer Russin verlobt, die Kasachstan nicht verlassen will. Gottlieb wartet auf seine Zulassung an eine Universität. Die Partei hat ihm versprochen, daß er Medizin studieren darf. Er soll ein Stipendium bekommen. Ein kluger Junge ist er. Außerdem liebt er ein Mädchen, das er vor uns versteckt. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen, aber ich frage ihn auch nicht. Er will auch bleiben.«
    »Und Eva?«
    »Sie wird mitkommen.«
    »Erna?«
    »Welche Frage, Andrej. Sie ist dort, wo ich bin.«
    »Weberowsky, der Patriarch!«
    Frantzenow sah zu, wie Weberowsky mit Heißhunger die pelmini aß, ging ab und zu in die Küche, prüfte die Nudeln, goß sie dann ab und schüttete sie in einen Topf mit Hühnerbrühe, den er aus dem alten Kühlschrank holte. Weberowsky schnupperte mit hoch erhobener Nase.
    »Du lebst nicht schlecht!« rief er. »Was man so aus den Städten hört –«
    »Kirenskija war bei Sonderzuteilungen bevorzugt. Im Kaufhaus gab es alles, was man zum täglichen Leben brauchte. Ob sich das jetzt ändert? Ich habe öfter für mich gekocht, das Essen in der Kantine schmeckt immer gleich. Außerdem immer die gleichen Gesichter, die gleichen Themen, die gleichen Klagen. Man setzt sich an den Tisch und weiß im voraus, was man zu hören kriegt.«
    Weberowsky löffelte zwei Teller voll Nudelsuppe und war dann so satt, daß ihn Müdigkeit ergriff. Er legte den Kopf gegen die Sesselpolster und sah seinen Schwager mit schläfrigem Blick an.
    »Du lebst sehr zurückgezogen?«
    »Ja. Ich bin am liebsten mit mir allein.«
    »Hast du keine Freunde?«
    »Hier gibt es keine Freunde, nur neidische Arbeitskollegen. Jeder will den anderen übertreffen, um einen lobenden Eintrag in die Personalakte zu bekommen. Seit Wochen ist es noch schlimmer. Die Angst der Arbeitslosigkeit hat alle im Griff. Jeder hofft, unentbehrlich zu sein, und kriecht Nurgai in den Hintern. Dabei zittert Nurgai selbst um seine Zukunft. Was bisher unter uns eine Art Kameradschaft war, bricht auseinander.«
    »Du bist unentbehrlich, Andrej.«
    »Das bekomme ich täglich zu spüren. Was sagen sie zu mir? ›Dir wird nie ein Zahn wackeln. Mit Gold werden sie ihn dir ausgießen.‹ Und dabei sehen sie mich voller Verachtung an!«
    »Wie lange willst du das noch aushalten, Andrej?«
    »Das ist eine Frage des Charakters. Ich ziehe mich zurück, lebe für mich – und warte.«
    »Worauf?«
    »Ich weiß es nicht. Aber irgend etwas wird geschehen, muß geschehen. Im Augenblick sind wir alle wie gelähmt. Amerikaner in Kirenskija! Amerikaner überwachen die Vernichtung der Atomsprengköpfe. Amerikaner schnüffeln überall herum. Spekulanten gründen Firmen, kaufen Betriebe auf, erwerben die Erschließungsrechte für sibirische Gebiete, setzen sich in Fabriken fest, bestechen ganze Beamtenheere – Rußland billig zum Ausverkaufspreis! So kann es nicht weitergehen.«
    »Eines Tages wirst auch du verkauft werden.«
    »Bis jetzt will man mich kaufen. Eine halbe Million Dollar Jahresgehalt, dazu Prämien sind mir angeboten worden. Ein sorgenfreies Leben. Eine Traumvilla in der Gartenvorstadt von Teheran. Dafür habe ich nichts anderes zu tun, als für den Iran Atome zu spalten.«
    »Mein Gott – Andrej!« Weberowsky starrte seinen Schwager entsetzt an. »Und du willst annehmen?«
    »Nein! Ich arbeite nicht für religiöse Fanatiker.«
    »Und für die Amerikaner?«
    »Erst recht nicht. Dazu bin ich zu sehr Russe!«
    »Bist du das wirklich, Schwager?«
    »Ich bin nie etwas anderes gewesen.«
    Frantzenow holte eine Flasche Weißwein und entkorkte sie. Er probierte, nickte beifällig und goß Weberowsky ein. »Ein

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