Westwind aus Kasachstan
menschenverachtend, mit eiskalter Gewissenlosigkeit hat es das Atom zum Massenvernichtungsmittel mißbraucht.«
»Ist es für eine Großmacht wie der unseren nicht selbstverständlich, daß sie zum eigenen Schutz auch die Atombombe entwickelt? Zum Schutz, Herr Weberowsky, nicht zum Angriff. Ich wiederhole: Angegriffen mit dem Atom hat zuerst Amerika! Und dann begann die Spirale ohne Ende: immer mehr Rüstung, immer neue weltvernichtende Waffen, immer weiterreichende Atomraketen, immer raffiniertere Sprengköpfe. Mit Laserkanonen wurde ein Weltraumkrieg heraufbeschworen, unter den Sternen sollten sich die elektronisch gesteuerten Raketen bekämpfen. Visionen nie geahnten Ausmaßes wurden Wirklichkeit … von Rußland ausgelöst? Nein, durch die amerikanische Bombe auf Hiroshima. Warum macht man uns Russen den Vorwurf, den Weltfrieden zu gefährden? Wir haben nie daran gedacht. Wie einfach wäre es gewesen, mit drei oder vier Atombomben das damalige Problem Afghanistan mit einem Schlag zu lösen! Haben wir's getan? Hätten wir so gehandelt, wie es Amerika mit Japan getan hat, wie sähe die Welt jetzt aus?« Sliwka holte tief Luft. »Aus dieser Sicht, Wolfgang Antonowitsch, waren Städte wie Kirenskija notwendig. Lebensnotwendig! Und Andrej Valentinowitsch hat mitgeholfen, Rußland zu einem Garant des Friedens zu machen. Keiner wird mehr wagen, die Menschheit mit dem Atom zu bedrohen. Denn auf den ersten Schlag folgt der zweite – und die Welt zerbricht.«
Frantzenow schwieg und wunderte sich. Wie er redet, dachte er. Wie Marc Anton an der Leiche des ermordeten Cäsar, den er mit getötet hat. Er spricht vom Weltfrieden und ist bereit, mich für Millionen Dollar an den Iran zu verkaufen, an die fanatischen Mullahs, die sich nicht scheuen würden, im Namen Allahs die Atombombe für den Sieg des Islams zu benutzen! Was ist dieser Sliwka für ein Mensch? Ein Mann des KGB und heimlicher Agent des CIA. Ein russischer Patriot und ein skrupelloser Aufkäufer von Atomexperten. Ein Freund und ein Feind zugleich, ein Prediger der Moral und ein Henker der Gewalt.
»Was sagst du dazu, Wolfgang?« fragte er, als einen Augenblick Pause war.
»Er hat recht … wenn man es von diesem Standpunkt aus sieht. Aber er hat unrecht, weil das Rüsten heimlich weitergeht.«
»Sind Sie so gut informiert?« fragte Sliwka höhnisch. »Sitzen Sie am Tisch der vertraulichen Kabinettsbesprechungen? Haben Sie ein Ohr im Pentagon und im Kreml? Was Sie da hinausposaunen, ist Stammtischweisheit. Je mehr Wodka man trinkt, um so teuflischer werden Politik und Politiker.«
»Ich habe keine Lust, jetzt zu diskutieren. Sie sind gekommen, Boris Olegowitsch, um meinen Schwager zu besuchen. Ich will nicht stören, ich gehe spazieren.«
»Du störst nicht. Herr Sliwka kommt bestimmt gerne wieder.« Frantzenow lächelte Sliwka an. Ich weiß, warum du gekommen bist, hieß dieses Lächeln. Hat man das Preisgeld erhöht? Ich werde dir mit deinen eigenen Worten antworten: Ich will dem Weltfrieden dienen, nicht einer unberechenbaren Macht.
»Ich komme gern wieder«, erwiderte Sliwka. »Sie wollten etwas unternehmen?«
»Wie wollten zum Spasski-See hinaus. Das ist Wolfgang Antonowitschs Idee. Aber ich habe ihm gesagt, ohne Auto geht das nicht. Und wir haben keins.«
Ich weiß es. Ich habe es ja gehört, und deshalb bin ich hier, dachte Sliwka. Ich tue alles, um dir zu helfen, Andrej Valentinowitsch.
»Ein Auto?« sagte er freundlich. »Kein Problem. Draußen steht eins. Ich biete Ihnen meinen Jeep an. Ich brauche ihn heute nicht. Sie können ihn leihen, sogar ohne Leihgebühr!« Er strahlte herzliche Fröhlichkeit aus. »Das Benzin stifte ich unserem Besuch.«
»Das kann ich nicht annehmen.« Frantzenow hob beide Hände. »Das ist zu großzügig.«
»Nehmen Sie die alte Kiste und sausen Sie los. Beim zweiten Gang müssen Sie aufpassen, der hängt. Und die Bremsbeläge sind auch nicht mehr die besten. Wo bekomme ich neue Bremsbeläge her? Keiner weiß, wo's welche gibt. Selbst in Semipalatinsk nicht. Wißt ihr, was mir der Automechaniker sagte? ›Neue Bremsen? Mein lieber Freund, wenn ich die bekommen könnte, wäre ich ein reicher Mann. Ich ginge damit auf den Schwarzmarkt. Ein Vorschlag von mir: Ich schneide Ihnen ein Loch in den Wagenboden, und Sie bremsen mit den Schuhsohlen!‹ – So ist die Situation. Also nicht scharf bremsen, langsam ausrollen lassen und mit der Handbremse nachhelfen. Aber auch die ist abgeschliffen wie ein alter
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