Westwind aus Kasachstan
einem Zivilanzug. Einer der Majore, er hieß Campell, schüttelte zum wiederholten Male den Kopf.
»Tony, du hast dich da in eine Sache verbissen wie ein Bullterrier. Auch die schnappen zu und lassen nicht mehr los, auch wenn man auf sie einprügelt. Was regt dich daran so auf, daß der Professor mit seinem Schwager ins Grüne fährt?«
»Das ist es nicht.« Curlis holte aus einem Koffer mit einem doppelten Boden eine 9-mm-Pistole und steckte sie in die Hosentasche. »Mir gefällt nicht, daß Sliwka ihnen seinen Wagen geliehen hat.«
»Warum sollte er nicht?«
»Es ist nicht seine Art. Es paßt einfach nicht zu ihm. Kein KGB-Mann gibt seinen Wagen in eine fremde Hand. Und Weberowsky kennt er erst seit ein paar Minuten. Er läßt sich sogar von ihm zum Stadthaus zurückbringen und winkt ihnen nach, und niemand wundert sich. Und zehn Minuten später sitzt er in einem anderen Wagen und fährt auch davon.« Curlis steckte noch ein Reservemagazin in die andere Hosentasche. »Das gefällt mir nicht.«
»Du siehst Gespenster, Tony. Nur weil dir Sliwka unsympathisch ist, verbohrst du dich in eine Sache, für die es gar keinen Hinweis gibt.«
»Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Nur ein Gefühl, weiter nichts. Aber das reicht.«
»Und was willst du tun?«
»Ich sehe mir die Herrenpartie einmal an. Einer mehr kann der Stimmung nicht schaden. Ich nehme als Einstand sogar eine Flasche Whiskey mit.«
»Und dann?«
»Dann bin ich sicher, daß es wirklich ein gemütlicher Tag wird.«
Campell seufzte. Curlis war wirklich verbohrt. Seit er die Gespräche zwischen Weberowsky und Frantzenow mit Hilfe der Wanze unter dem Sessel mitgehört und auf Band aufgenommen hatte, war er wie verändert. Er war von dem Gedanken besessen, Rußlands besten Nuklearforscher nach Amerika zu bringen, wenn er sich nach Bonn absetzen würde. Auch wenn Frantzenow sich weigern würde … ihn erst einmal drüben haben. Alles Weitere würde sich entwickeln.
Curlis zog eine leichte Leinenjacke an, setzte eine Baseballmütze auf und klopfte Campell auf die Schulter.
»Halt die Stellung, Junge«, sagte er. »Und wenn ich in der Nacht noch nicht zurück bin, schlag keinen Alarm. Erst wenn ich zwei Tage wegbleibe. Dann ist was passiert. Und halt den Mund dem General gegenüber. Der ist so unbeschwert wie ein Baby und würde gar nichts verstehen. Laß ihn weiter im Kasino herumprosten und mit Nurgai Schach spielen. Das kann er wenigstens.«
»Viel Glück.« Campells Stimme klang etwas gepreßt. »Denk daran, wir sind hier Gast in einem fremden Land.«
»Du traust mir aber auch alles zu.«
»Allerdings.«
Lachend verließ Curlis das Zimmer. Vor dem Gästehaus der Stadt – es war früher extra für Besuche aus Moskau eingerichtet worden – stieg er in den amerikanischen Jeep. Der Wagen war vor einer Woche mit einer Transportmaschine eingeflogen worden, nach langen Verhandlungen mit den russischen Behörden und einer bewußten Verzögerung der Regierung in Alma-Ata. Es waren die kleinen Nadelstiche, mit denen Kasachstan beweisen wollte, daß es ein selbständiger Staat geworden war, der sich von Moskau nicht mehr befehlen ließ.
Da es nur eine offene Straße nach Kirenskija hinaus und hinein gab, fuhr Curlis die gleiche Strecke, die auch Weberowsky genommen hatte. Der sinnlos gewordene Wachposten an der inneren Sperre, der immer noch besetzt war, um die Soldaten zu beschäftigen, sah dem Jeep nach und griff zum Telefon. Der Wachoffizier im Erdbunker meldete sich.
»Soeben hat einer der Amerikaner die Stadt verlassen«, meldete der Posten.
»Irgend etwas Auffälliges?«
»Er hatte keine Uniform an, sondern war in Zivil.«
»Und sonst?«
»Sonst nichts.«
Der Wachoffizier legte auf und trug in sein Berichtsbuch ein: 11.47 Uhr. Mitglied der US-Kommission verläßt die Stadt in Zivil. Meldung von Posten. Betreffende Person ist allein.
Es war eine Eintragung, die sich später als sehr wichtig herausstellte.
Frantzenow und Weberowsky hatten jeder zwei Dosen China-Bier getrunken und dazu eingelegte Gurken gegessen. Jetzt lagen sie im Schatten der Bäume am Waldrand, dösten vor sich hin und waren zufrieden wie kleine Jungen, denen man ein Zelt geschenkt hat. Den Wodka und einige Dosen Bier hatte Weberowsky am Seeufer ins Wasser gelegt, um sie etwas kühl zuhalten. Immerhin war der See kälter als die Luft, die an den Berghängen vor Hitze flimmerte. Ein außergewöhnlich heißer Herbst war es. Nach alter kasachischer Bauernregel würde es also
Weitere Kostenlose Bücher