Wetterleuchten
All-Island-Mannschaft einhergingen. Sie hätte ihnen gerne gesagt, dass das der Grund gewesen war, warum sie sich überhaupt auf Annie Taylor eingelassen hatte. Sie wusste, dass ihre Eltern nicht das Geld hatten, das sie für die Mannschaft brauchte. Deshalb hatte sie angefangen, für Annie zu arbeiten; um das nötige Geld zusammenzukriegen. Aber es war alles komplett anders gelaufen als geplant.
Becca schien die Sache anders zu sehen. Sie sagte aufmunternd: »Hey, du hast jetzt schließlich mich: eine allerbeste Freundin.«
»Klar«, antwortete Jenn wenig begeistert. »Wer hätte das gedacht?« Ich und Fettarsch …, fügte sie lautlos hinzu.
Becca zog die Brauen zusammen. »Ich hab total viel abgenommen«, protestierte sie. Und gerade, als Jenn sie beschuldigen wollte, ihre Gedanken zu lesen, fügte sie hinzu: »Das hab ich davon. Eine Freundin und eine schlanke Figur. Finde ich cool.«
»Ja, ja«, murmelte Jenn. »Was hast du eigentlich vor?«
Becca verließ die Kantine wahrend der Mittagspause, nachdem sie in Rekordzeit ein hartgekochtes Ei und eine Tüte mit Karottenstäbchen hinuntergeschlungen hatte. Sie erzählte ihr, dass sie in die Bibliothek wolle. Als Jenn fragte, warum, antwortete sie, wegen der Selkie, obwohl sie nicht »Selkie« sagte, sondern »diese Robbe«. Jenn solle doch mitkommen, wenn sie wollte. »Allerbeste Freundinnen, klar? Wir sind jetzt unzertrennlich.«
Jenn verdrehte die Augen, ging aber mit. Sie sah zu, wie ihre Freundin sich ins Internet einloggte. Während sie »Selkie« googelte, holte sich Jenn einen Stuhl und fragte: »Wozu soll das gut sein? Uns glaubt doch sowieso kein Mensch, wenn wir erzählen, was wir gesehen haben.«
»Stimmt«, gab Becca ihr recht. »Aber irgendetwas ist da noch ... Hast du nicht auch das Gefühl, als ob wir ein Puzzleteil übersehen hätten?«
»Was denn? Glaubst du, es stellt sich heraus, dass sie bloß eine normale Frau ist, die seit achtzehn Jahren in einem Robbenkostüm hier herumschwimmt? Das wäre jedenfalls eine vernünftigere Erklärung als das, was wir gesehen haben.-«
»Wo kam Cilla her, Jenn? Und woher wusste sie, was sie zu tun hat, als die Frau ihr das Robbenfell gereicht hat?«
»Wo soll sie wohl herkommen? Wir wissen doch alle, dass sie das Robbenbaby war.«
»Ja, schon. Aber ...« Becca verfolgte mit dem Finger, was sie am Bildschirm las. Dann rief sie eine neue Seite auf. Dann eine dritte und eine vierte. Jenn kam nicht mehr mit und versuchte es irgendwann auch gar nicht mehr. Stattdessen lehnte sie sich mit dem Rücken an den Computertisch, streckte ihre Beine aus und stützte sich mit den Armen auf dem Tisch ab. Sie stellte fest, dass sie mit dem Mädchen, das sie von dem Augenblick an gehasst hatte, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte, eigentlich ganz gut klarkam. Wie verrückt war das denn? Nichts war unmöglich.
»Hier«, sagte Becca schließlich.
»Was?«
»So ist es passiert.«
»So ist was passiert?«
»So kriegen Selkies Kinder.«
»Äh ... Wenn du nicht weißt, wie Tiere Junge kriegen, dann würde ich dir ein Gespräch mit Rhonda Mathieson empfehlen. Sie wird dir die Geschichte von den Bienchen und den Blümchen in aller Ausführlichkeit darlegen. Und dann gibt sie dir gleich noch ein paar Kondome mit auf den Weg, damit du es sofort ausprobieren kannst.«
»Ich meine es ernst. Hör mal zu. Hier steht, dass sie an Land kommen und sich mit einem Mann verbinden. Nicht mit einer anderen Robbe, Jenn. Und auch nicht mit einer anderen Selkie. Sie verbinden sich mit einem Mann.« Sie sah Jenn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Weißt du, was das bedeutet?«
»Jedenfalls nicht, dass sie auf Eddie Beddoe stand.«
»Nicht Eddie Beddoe. Der nicht.«
»Wer denn dann ...« Doch als sich Jenn an die Szene am Strand erinnerte, kam sie selbst dahinter. »Meinst du Ivar? Das heißt, Cilla war seine ... seine ... seine ... na, was denn eigentlich? Seine Tochter? Sein selkoider Sprössling?«
Becca verließ die Website wieder und antwortete: »Ich wüsste nicht, wer es sonst sein sollte.«
»Das erklärt auch, warum er unbedingt wollte, dass Nera nicht an Land kommt. Du hast ja gesagt, er hätte von Anfang an gewusst, was mit ihr los ist. Warum sonst hätte er dafür sorgen sollen, dass die Leute von ihr fernbleiben?«
Becca nickte. »Aber schon traurig, oder? Wahrscheinlich hat er vorher gar nicht gewusst, dass die Selkie ein Baby von ihm hatte.«
»Puh«, sagte Jenn mitfühlend. Dann schlug sie sich vor die Stirn.
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