Wetterleuchten
Strand gefunden hat. Und das ist ihr Fell, oder? Und ihretwegen ist Nera immer wieder zurückgekommen.«
Becca hörte ihr zu, sah aber Ivar an. Zu spät , schöne Frau ... Diese Worte klangen ganz deutlich zu ihr herüber, und mit ihnen nahm sie eine Vision wahr, ohne dass sie wusste, ob sie von Ivar kam oder aus ihrer eigenen Fantasie. Sie sah, wie eine Frau in der Nacht aus dem Wasser stieg, eine wunderschöne Frau mit langem schwarzem Haar, die Ivar vom Ufer aus beobachtete.
»Es ist zu spät«, sagte Ivar laut.
»Wofür?«, fragte Jenn.
»Für das, was sie beide wollen.«
Becca betrachtete Nera und Cilla, die einander in den Armen lagen, und hatte endlich alles begriffen. »Sie wollte sich nur um ihr Kleines kümmern«, murmelte sie. Schließlich wollten das alle Mütter. Ihre Mutter wollte das auch.
Unter den Augen der Umstehenden reichte Nera Cilla das Robbenfell, das sie abgelegt hatte, als sie aus dem Wasser gekommen war. Cilla legte sich das Fell um, als wäre es ihr eigenes. Am Strand war sie noch Cilla gewesen, das Mädchen, das nicht sprechen konnte. Am Rand des Wassers wurde sie zum Ebenbild ihrer Mutter. Und dann wurde sie zur Robbe und tauchte ins Wasser ein und war verschwunden.
Die dunkelhaarige Frau sah ihr hinterher und presste das kleine Robbenfell an ihre Brust. Dann ging sie selbst ins Wasser. Sie tauchte schnell und tief hinein, dorthin, wo das Wasser am kältesten war, und da sie keinen Schutz mehr vor seiner eisigen Kälte hatte, würde sie nicht lange überleben.
Als es vorbei war, standen die Zurückgebliebenen schweigend am Strand. Ihr Flüstern war hörbar und Becca schnappte Gedankenfetzen auf, doch sie versuchte, sie zu ignorieren, um sich ausnahmsweise einmal auf ihr eigenes Flüstern zu konzentrieren. Sie wollte darüber nachdenken, was sie gehört hatte — in Gesprächen oder im Geflüster - und was sie gerade eben hier am Strand mitangesehen hatte.
Sie hatte geschlossen, dass Eddie Beddoe die Verwandlung der Frau in eine Robbe damals in der Nacht, wo das Öl ausgelaufen war, beobachtet hatte. Das war die einzig logische Erklärung. Nera und ihr Junges waren in den Ölteppich geraten, und das Kleine konnte nicht überleben, wenn ihr junges Robbenfell nicht von dem Öl befreit würde. Deshalb hatte ihre Mutter sie ans Ufer gebracht, und sie hatten sich beide verwandelt. Dann kam Eddie ans Ufer, und die Mutter geriet in Panik. Sie hatte ihr Kind retten wollen, hatte aber nichts, um sein Fell zu reinigen. Als Eddie im Dunkeln seine Taschenlampe auf sie richtete, hatte sie instinktiv die Flucht ergriffen, weil sie das Licht als Gefahr betrachtete. Ihr Kind ließ sie jedoch am Strand zurück, und Eddie nahm es an sich, da er wusste, dass außer einer ausgewachsenen Robbe niemand nach ihm suchen würde. Es bot sich ihm eine Gelegenheit, und er ergriff sie. Aber was geschah danach?, fragte sich Becca.
Ivar lieferte die Antwort, als er zu Eddie sagte: »Sharla glaubt, dass du das Kind umgebracht hast. Aber das hast du nicht. Du hast es verkauft oder gegen irgendwas eingetauscht, oder? Um dir das Boot zu kaufen.«
»Was spielt das noch für eine Rolle?«, fragte Eddie. »Jetzt haben doch alle, was sie wollen. Außer ihr, natürlich.«
Damit meinte er Annie, die wie betäubt neben ihrer Ausrüstung stand. Sie nützte ihr jetzt nichts mehr, denn das einzige Gerät, mit dessen Hilfe sie die Geschichte hätte beweisen können, die keiner außer den anderen fünf Anwesenden hier am Strand glauben würde, war ihre Kamera, die sie im Wohnwagen gelassen hatte. Die Frau war fort, ebenso wie das Mädchen, und mit ihnen das, was Annie Taylor von ihnen wollte.
»Es gibt noch etwas, das du erledigen musst, Eddie«, sagte Ivar nach einer Weile. »Du musst Sharla endlich aufklären. Los, komm.«
»Ich werde nicht...«
»Ich sag dir, was du wirst: Du wirst deiner Ehefrau die Wahrheit sagen. Und zwar nicht die Wahrheit über Nera, denn die wird uns sowieso niemand glauben. Sondern die Wahrheit über das Baby. Du wirst Sharla eine Last von der Seele nehmen, indem du ihr genau erzählst, was du gemacht hast. Es ist Zeit, dem endlich ein Ende zu machen, Mensch. Und das weißt du genauso gut wie ich.«
Eddie sah Ivar lange an. Dann sah er zu Becca hinüber und schließlich zu den anderen. »Ach, was solls’«, rief er aus. »Wir hatten schon genug Ärger wegen diesem verdammten Öl und seinen Folgen hier an Land.«
»Du hast den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht«, sagte Ivar.
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