Wetterleuchten
waren sie die einzigen interessanten Meerestiere.
Auf ihren dritten Strandspaziergang nahm Annie eine Kamera und ein Stativ mit. Jenn schloss daraus, dass sie wohl Naturfotografin war, und fragte ihren Vater am Tag nach Annies Ankunft beim Frühstück danach. Außer Jenn war er der Einzige, der schon wach war. Es war eiskalt draußen, und wie immer war es im Haus auch nicht viel wärmer. Der Rest der Familie hatte offensichtlich beschlossen, unter der Bettdecke auf wärmeres Wetter zu warten, aber da es nicht regnete, war Laufen angesagt, und genau das hatte Jenn vor. Da war noch die Sache mit Annie ...
»Woher soll ich das wissen?«, war Bruces Antwort auf Jenns Frage, ob die junge Frau Fotografin war. »Ich treibe die Miete ein, und mich interessiert nur Folgendes: dass sie nachts leise ist und die Heringe im Köderbecken nicht erschreckt. Frag Eddie, wenn du mehr wissen willst. Für mich gilt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.« Er las gerade eine Ausgabe des South Whidbey Record , die eine Woche alt war. Aber als sie »bis später« sagte, sah er auf, bemerkte Jenns Aufmachung und fragte: »Was hast du vor, Jenn?«
»Kurzstreckenläufe«, erwiderte sie. »Bald finden die Testspiele statt. Für die All-Island-Mannschaft. Du weißt schon.«
»Dann sei um Himmels willen vorsichtig auf der Straße. Da draußen ist alles vereist, und wenn du dir ein Bein brichst...«
»Ich werd mir kein Bein brechen«, versicherte sie ihm.
Vor dem Haus machte sie einige Dehnübungen auf den Treppenstufen und am Verandageländer. In der eiskalten Luft war ihr Atem die reinste Nebelmaschine.
Aus der Richtung des Wohnwagens war ein Knall zu hören, und Annie Taylor kam herausgestakst. Bei den vielen Kleiderschichten, die sie trug, war Jenn erstaunt, dass sie sich überhaupt so schnell bewegen konnte. Sie steuerte den Holzstapel an und schnappte sich einen Arm voll Scheite.
»Bescheuert, idiotisch, bekloppt, behämmert, zwecklos, ja, alles klar«, drang es über den Hof zu Jenn. »Als könnte das ... Na klar. Klasse. Vielen Dank auch.«
Jenn beobachtete, wie Annie die Scheite auftürmte und damit zurück zum Wohnwagen stolperte. Sie warf einen verwunderten Blick auf den Stapel Holz, der schon beträchtlich geschrumpft war. Nur ... Jenn bemerkte, dass kein Geruch von verbranntem Holz in der Morgenluft lag.
Sie marschierte zur Wohnwagentür, steckte den Kopf hinein und sagte: »Sie verbrauchen ganz schön viel Holz, was?«
Annie drehte sich von dem kleinen Holzofen, vor dem sie kniete, zu ihr um. »Oh, schön wär’s«, gab sie zurück. »Es will einfach nicht brennen. Ich kann kein einziges verdammtes Scheit finden, das sich anzünden lässt.«
»Komisch«, meinte Jenn. »Es müsste eigentlich problemlos brennen.«
»Na ja, müsste brennen und brennt sind zwei verschiedene Dinge. Wenn du demnächst Rauch aus dem Wohnwagen kommen siehst, kommt er aus meinen Ohren, glaub’s mir.«
»Soll ich mal nachschauen?«
»Nur zu. Wenn du es schaffst, diesen Scheiß zum Brennen zu bringen - entschuldige meine Ausdrucksweise, aber ich bin total fertig mit den Nerven und hab mir die ganze Nacht die Titten abgefroren -, dann lad ich dich zum Frühstück ein.«
Jenn lachte. »Gefrorene Titten, was?«, sagte sie. »Autsch. Lassen Sie mich mal ’nen Blick in den Ofen werfen.«
Kapitel 2
J enn sah sich im Innern des Wohnwagens um und sagte: »Ekelhaft. Warum mieten Sie dieses Ding überhaupt?«
»Ich brauche das Wasser hier.« Annie schnappte sich neben dem Ofen eines der zwei Dutzend Scheite, die schon überall auf dem Boden verstreut lagen.
»Äh ... Das ist eine Insel«, bemerkte Jenn. »Als ich das letzte Mal geguckt habe, war da überall Wasser.«
»Ja. Klar. Aber ich brauche dieses Wasser.«
»Es ist überall dasselbe.«
»Eben nicht«, gab Annie zurück. Sie zeigte auf den Holzofen, der wie ein zahnloser schwarzer Mund offenstand. »Kennst du dich mit so was aus?«, fragte sie.
»Ich weiß, dass man die Asche ausputzen muss«, erklärte ihr Jenn, nachdem sie einen kurzen Blick hineingeworfen hatte. »Vorher brennt da gar nichts. Was ist mit den Ofenklappen? Sind die überhaupt offen? Ich wette, das Ofenrohr hat auch keiner überprüft, und der Schornstein ist bestimmt mit Vogelnestern verstopft.«
»Oh«, erwiderte Annie, machte aber keine Anstalten, das in Angriff zu nehmen. Stattdessen ließ sie sich auf einen dreckigen Küchenstuhl mit verchromten Beinen plumpsen und sah sich niedergeschlagen im Wohnwagen
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