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Wetterleuchten

Wetterleuchten

Titel: Wetterleuchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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für ungut, aber irgendwie finde ich das unheimlich. Wie viel Miete blechen Sie eigentlich?«
    Als Annie es ihr sagte, starrte Jenn sie ungläubig an. »Die ziehen Sie so was von über den Tisch«, rief sie aus. »Das ist der totale Wucher. Sie müssen zu Eddie Beddoe gehen und was Besseres aushandeln.«
    Annie blickte auf einmal verdrossen, als sie sich in dem heruntergekommenen Wohnwagen umsah. »Daran bin ich mehr oder weniger selbst schuld, weil ich’s so eilig hatte.«
    »Das ist kein Grund, jemanden auszunehmen wie ’ne Weihnachtsgans.«
    »Stimmt. Aber ich habe mich auf den Preis eingelassen. Wenn ich versuche, die Miete neu auszuhandeln, sagt er mir vielleicht, dass ich mich woanders umschauen soll.«
    »Keine so schlechte Idee, wenn Sie mich fragen.«
    Annie schüttelte den Kopf. »Wie ich dir vorhin schon gesagt habe: Ich muss in Possession Point sein, und ich muss diesen Teil des Wassers beobachten.«
    »Warum?«
    »Es ... na ja, es ist einfach so.«
    »Ist es ein Geheimnis? Schwimmt etwa Bigfoot im Possession Sound herum, und Sie sind hier, um ihn zu fotografieren?«
    Als Annie einen Moment lang schwieg, dachte Jenn schon, sie hätte ins Schwarze getroffen, auch wenn es ihr völlig lächerlich vorkam. Sie fuhr fort: »Oder vielleicht irgendein prähistorisches Meerestier? So was wie das Ungeheuer von Loch Ness?«
    Wie sich herausstellte, lag sie gar nicht einmal so falsch, denn Annie gab sich geschlagen und sagte: »Was soll’s. Du wirst es wahrscheinlich sowieso irgendwann herausfinden. Vor allem, wenn du für mich arbeitest.«
    »Was herausfinden?«
    » Wirst du für mich arbeiten?«
    »Okay. In Ordnung. Aber nur gegen Bezahlung.«
    »Hab ich doch gesagt. Abgemacht? Und du kannst gerne du zu mir sagen.«
    »Okay. Abgemacht. Also, warum bist du hier?«
    Annie blickte zur Tür, als befürchte sie, belauscht zu werden. »Ich bin wegen der Robbe hier«, sagte sie.
    Eine ganze Weile später dachte Jenn, dass sie schnell die Reißleine hätte ziehen sollen, als Annie Taylor die Robbe erwähnte. Es gab zwar alle möglichen Robben, aber Jenn wusste sofort, dass Annie nur eine ganz bestimmte Robbe meinen konnte. Sie hieß Nera, und sie war von Kopf bis zu den Flossen pechschwarz. Aus irgendeinem Grund, über den niemand reden wollte, egal, wie man die Leute zu dem Thema befragte, tauchte sie seit Jahren zur gleichen Jahreszeit in den Gewässern von Whidbey Island auf. Für gewöhnlich hielt sie sich an einem Ort namens Sandy Point sowie in der Nähe des kleinen Dorfs Langley auf, wo sie nicht weit vom Jachthafen im Wasser herumtollte und Touristen, Stadtbewohner und Fischer anbellte, als wollte sie auf sich aufmerksam machen. Das Merkwürdigste an ihrem Verhalten war, dass sie jedes Jahr zur selben Jahreszeit, im selben Monat und am selben Tag von Langley zum Possession Point schwamm. Dort blieb sie genau vierundzwanzig Stunden lang, schwamm rastlos hin und her und jaulte und bellte wie ein ausgesetzter Hund. Danach kehrte sie nach Langley zurück, verbrachte ein, zwei Monate in den Gewässern unterhalb vom Seawall Park und schwamm dann dorthin zurück, wo sie hergekommen war, bis sie im darauffolgenden Jahr wieder auftauchte und sich der Ablauf wiederholte. Ihr Kommen und Gehen war den Bewohnern am südlichen Ende von Whidbey Island ein völliges Rätsel und hatte für sie fast etwas Magisches. Und Jenn konnte sich ausrechnen, dass sie nicht froh darüber sein würden, wenn ihnen jemand diesen Zauber kaputtmachen wollte.
    Deshalb sagte Jenn: »Eine Robbe? Welche Robbe? Was willst du mit einer Robbe?«, als wüsste sie nicht ganz genau, von welcher Robbe Annie redete.
    »Komm schon«, erwiderte Annie. »Willst du mir wirklich weismachen, dass du noch nie was von ihr gehört hast? Langley hat ... Hier, warte mal ...« Sie ging zu einer Kiste und holte eine Aktenmappe heraus, die von herausgerissenen Zeitschriftenartikeln überquoll. Sie öffnete sie, blätterte die Ausschnitte durch und nahm einen Artikel mit einem knallbunten Foto heraus: ein Straßenfest, Eis essende Kinder, Bauerntrampel in merkwürdigen Robbenkostümen, Luftballons, Jahrmarktbuden und ein Transparent über dem Parkeingang mit der riesigen roten Aufschrift: »WILLKOMMEN, NERA!!«
    Jenn konnte nicht so tun, als wüsste sie nicht, was das war: nämlich eines von Langleys vielen verrückten Festen. Die dämlichen Stadtväter veranstalteten Feste für alles und jedes, nur um Touristen in die ums Überleben ringenden Pensionen, Cafés und

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