Wetterleuchten
grandios war -, würde sie ihren Hintern zu Fuß runter zum Wasser bewegen müssen.
Jenn dribbelte den Fußball auf einen kaputten Klodeckel zu und übte Ausweichmanöver und Finten. Sie wirbelte immer wieder geschickt herum, um ihre Gegenspielerinnen auszutricksen. Sie wollte den Ball gerade an einem Mülltonnendeckel vorbeiführen, als Annie Taylor ihr zurief: »Hey! ’tschuldige? Kannst du mir sagen ... wo ich Bruce McDaniels finde?«
Jenn blieb stehen und blickte über ihre Schulter. Annie fuhr fort: »Kennst du ihn? Er soll hier irgendwo wohnen. Er hat einen Schlüssel für mich. Ich bin übrigens Annie Taylor.«
Mit einem Seufzer hob Jenn den Ball auf. Natürlich kannte sie Bruce. Bruce war ihr Vater. Sie hatte ihn das letzte Mal auf der Veranda gesehen, wo er gerade der frühen Februarkälte zum Trotz fünf verschiedene selbst gebraute Biere probierte. Er hatte die Gläser auf dem Geländer aufgereiht, um die »Schaumkrone jedes einzelnen bewundern zu können«, bevor er sie hinunterkippte. Er braute sein eigenes Bier auf dem Grundstück in einem Schuppen, den er immer wie Fort Knox sicherte. Wenn er kein Bier braute, verkaufte er das Zeug unterm Tisch. Wenn er das nicht tat, verkaufte er Köder an Fischer, die das Risiko nicht scheuten, ihre Boote an seiner baufälligen Anlegestelle anzudocken.
Als Annie Taylor einen Schlüssel erwähnte, dachte Jenn zuerst, ihr Dad würde seine Fort-Knox-Brauerei einer Unbekannten überlassen. Aber dann fügte Annie hinzu: »Hier steht doch irgendwo ein Wohnwagen, oder? Also ich ziehe da ein. Und der Mann, der mir den Wohnwagen vermietet - Eddie Beddoe? - hat gesagt, Bruce würde mit dem Schlüssel auf mich warten. Ist er hier?« Sie gestikulierte am Hindernisparcours vorbei. Jenn nickte, dachte aber, dass Annie bestimmt von einem anderen Wohnwagen redete, weil absolut niemand in dem abgewrackten Ding wohnen könnte, das verlassen nicht weit von ihrem Haus gestanden hatte, solange sie denken konnte.
»Super«, sagte Annie. »Also wenn’s dir nichts ausmacht ...? Kann ich ...? Kann ich das Zeug aus dem Weg räumen?«
Jenn fing an, ihre Hindernisse zur Seite zu kicken. Annie half ihr und ließ währenddessen den Motor ihres Hondas laufen. Sie war groß - aber bei einer Größe von 1,58 m erschien Jenn so ziemlich jeder groß - und hatte eine Menge Sommersprossen. Ihr Outfit hatte sie wohl auf dem Weg zur Insel in Bellevue gekauft: Skinny-Jeans, Stiefel, Rollkragenpulli, Parka, Schal. Sie sah aus wie eine wandelnde Reklame für das Leben in der freien Natur des Bundesstaates Washington, nur dass die Zusammenstellung viel zu gewollt wirkte. Ein echter Naturliebhaber würde nie so herumlaufen. Jenn drängte sich die Frage auf, was zum Teufel Annie Taylor hierher trieb, wenn sie nicht auf der Flucht vor dem Gesetz war.
Mit dem Fußball unterm Arm folgte sie Annies Auto bis kurz vor den Wohnwagen. Jenn malte sich aus, dass ihre Reaktion beim Anblick dieses Wracks viel interessanter sein würde als Dribbeln.
Als Jenn Annie einholte, stand dieser ein »Oh!« förmlich ins Gesicht geschrieben. Nicht im Sinne von »Oh, wie cool«, sondern mehr wie »Oh mein Gott, was habe ich getan?« Sie war aus ihrem Auto gestiegen und stand wie angewurzelt da, den Blick starr auf den einzigen Wohnwagen weit und breit gerichtet. »Äh ... Das ist er?«, fragte sie an Jenn gewandt.
»Echt cool, was?«, erwiderte Jenn sarkastisch. »Wenn Sie auf schwarzen Schimmel stehen, sind Sie hier genau richtig.«
»Possession Point«, murmelte Annie vor sich hin. Dann drehte sie sich wieder zu Jenn: »Das ist er ... ohne Jux? Das ist wirklich der Wohnwagen? Du wohnst doch nicht auch hier, oder?« Annie blickte sich um, aber natürlich gab es nicht viel zu sehen, das diesen trostlosen Ort in einem sympathischeren Licht hätte erscheinen lassen.
Jenn zeigte auf ihr Haus, das nicht allzu weit entfernt näher am Wasser lag. Auch wenn das Gebäude alt war, befand es sich doch in einem geringfügig besseren Zustand als der Wohnwagen. Es bestand aus grauen Schindeln und hatte ein bedenklich schiefes Dach, und gleich dahinter neigte sich am Rand des Wassers ein Köderschuppen gefährlich zu einer Anlegestelle hin. Beide Gebäude ragten gleichsam aus Bergen von Treibholz und alten Fischernetzen sowie den Anhäufungen diverser Gegenstände, von umgestürzten Aluminiumbooten bis hin zu umgedrehten Kloschüsseln, hervor.
Während Annie Taylor den Anblick des Ganzen verarbeitete, kam Jenns Vater Bruce aus dem
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