Wetterleuchten
sich der Robbe näherten. Sie sagte: »Seth, was weißt du über die Robbe?«
»Nur, dass sie eine Robbe ist und dass sie schwarz ist«, antwortete er. »Und dass sie einmal im Jahr auftaucht und von allen in der Stadt überschwänglich begrüßt wird.«
Becca sah wieder zu der Versammlung hinüber, wo sich ein Handgemenge entwickelte. »Ich glaube, da steckt mehr dahinter«, sagte sie zu Seth.
»Warum?«
»Sie trägt einen Sender.«
»Wer?«
»Die Robbe.«
»Wie? Ist sie eine Robo-Robbe?« Er lachte. »Das kann ich mir nicht vorstellen, Beck. Ich finde, sie sieht ziemlich echt aus. Oder meinst du damit, dass sie mit jemandem kommuniziert? Vielleicht ist sie eine außerirdische Lebensform. Und wenn du ihr zu nahe kommst, stopft sie dir Babys in den Hals, die durch deine Bauchdecke brechen, wenn sie Zähne haben.«
»Sehr witzig«, sagte Becca. »Ich sag dir, ich war dabei, als Annie Taylor bemerkt hat, dass sie einen Sender trägt. Es war ein riesiges Ding, Seth. Irgendwas ist da los.«
Sie stand auf und näherte sich der Galerie, bis sie hineinsehen konnte. Ivar stand vor der Menge, die sich vor ihm ausbreitete wie ein menschlicher Fächer. Eddie Beddoe hatte sich nach vorne gekämpft und war dabei, sich mit Ivar anzulegen. In dem kleinen Raum wirkte er riesig. Die Adern an seinen Schläfen waren so angeschwollen, dass es aussah, als würden Würmer über sein Gesicht kriechen.
Er sagte: »Jetzt hört mir mal alle zu. Diese verdammte Robbe hat hier nichts zu suchen. Das wisst ihr genau, und Thorndyke weiß es besser als irgendjemand sonst. Und je früher ihr das in eure bräsigen Köpfe kriegt, desto besser ist es für uns alle.«
Es folgte noch mehr Geschrei. Becca ließ den Blick über die Menge schweifen und wunderte sich, Jenn McDaniels zu sehen, die neben Annie Taylor saß. Auf der anderen Seite von Annie war Chad Pederson, und die beiden schienen sich gerade angeregt zu unterhalten. Jenn war in ihrem Stuhl zusammengesunken und beäugte Ivar und Eddie misstrauisch.
Eddie Beddoe war nicht zu bremsen und redete sich regelrecht in Rage über die schwarze Robbe. »Sie hat uns nichts als Ärger gebracht, seit dem Tag, als sie hier zum ersten Mal aufgetaucht ist. Sie ist schon viel zu zutraulich geworden. Und eines schönen Tages greift sie am Strand noch ein Kind an. Und was macht ihr dann? Wahrscheinlich ist sie krank, denn warum sollte sie sonst so nahe ans Ufer schwimmen?«
Die Stimmen wurden immer lauter. Die Leute sprangen auf, und Ivar tat sein Möglichstes, um die Menge zu beruhigen. Es herrschte ein furchtbares Durcheinander, aber Eddie Beddoe hatte offenbar seine helle Freude daran.
Er fuhr fort: »Die Fischerei- und Wildtierbehörde muss verständigt werden. Sie müssen sie von hier wegschaffen, bevor sie noch irgendwelche schlimmen Krankheiten verbreitet und unsere Fisch- und Krebsbestände gefährdet. Kapiert ihr das endlich?«
In dem Augenblick sprang Annie Taylor auf und rief: »Hört mir zu! Die Robbe ist völlig gesund. Ich habe sie von Nahem gesehen. Chad auch ...«, dabei legte sie dem jungen Mann die Hand auf die Schulter, »... und Mr Thorndyke übrigens auch.«
Bei dieser Mitteilung erhoben sich Stimmen des Entsetzens.
»Sie waren in ihrer Nähe?«
»Was soll das heißen?«
»Du bist ja vielleicht ein alter Heuchler, Thorndyke!«
»Ja, fragt ihn mal!«, krächzte Eddie Beddoe. »Fragt ihn, was er mit der Robbe vorhat.«
Es wurde noch mehr geschrien, gebrüllt und geflucht. Becca konnte die Spannung förmlich spüren. Es verschlug ihr den Atem und beeinträchtigte ihre Fähigkeit zu denken. Sie musste nach draußen und drängte sich durch die Menschenmenge. Auf der Straße atmete sie in großen Zügen die frische Luft ein.
Es war dunkel geworden, und die Schatten um sie herum schienen ihr eine Warnung zu sein. Irgendjemand in Langley musste diese Warnung beachten, dachte Becca, bevor es zu spät war.
TEIL V
GOSS LAKE
Kapitel 22
D erric wusste, dass er es verpatzt hatte, als die Nelken eintrafen. Courtney hatte ihm siebenunddreißig Blumen geschickt. Er ihr nur zwei.
Er wollte sich aus der Affäre ziehen, indem er sich darauf berief, dass er ein Kerl war, womit »Mann« in der Regel jeden romantischen Fehltritt entschuldigen konnte. »Ich bin halt ein Typ«, was bedeuten sollte, dass er als männliche Ausführung seiner Spezies in Herzensangelegenheiten ein wenig unbeholfen war.
Das Problem war nur, dass er eigentlich genau gewusst hatte, was zu tun war. Er war ihr
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