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Wetterleuchten

Wetterleuchten

Titel: Wetterleuchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sodass jeder Zeit genug hatte, den Gruß auf dem Zettel zu lesen, der am Nelkenstängel befestigt war. Danach liefen die Cheerleader mit so vielen Blumen durch die Kantine, dass sie aussahen wie olympische Eiskunstläuferinnen nach einer besonders gelungenen Darbietung. Ebenso wie die Schüler, die als beliebt galten. Und natürlich, wie zu erwarten war, die Sportskanonen. Die anderen riefen erstaunt aus: »Wow! Cool! Krass! Hammer!«, während diese Schüler haufenweise Blumen auf die Tische warfen und sich hinsetzten, um die mitgeschickten Nachrichten zu lesen. Aber die Schreie und das Geplapper wurden von Flüstern begleitet, und Becca spürte, dass es hitzig und intensiv war. Dieses Flüstern erfüllte die Luft mit einem stummen Lärm, der von den Schülern ausging, die nur eine Blume erhalten hatten, und den anderen, die das sahen.
    Der ist... die ist ganz schön frustriert... nimm erst mal fünfzig Kilo ab, Fettwanst... so ein Loser... ich hasse das, ich hasse das, ich hasse das ... ist sowieso ein blöder Idiot ... immer das Gleiche ...er hat mir keine ... sie hat mir... warum will mir keiner ... spiegelte nur einen kleinen Teil der vielfältigen Gefühle im Raum wider. In Beccas Augen diente diese ganze Aktion lediglich dazu, böses Blut zwischen den Schülern zu schaffen.
    Sie hatte sich schon seit dem frühen Morgen darauf eingestellt, dass sie nur eine Nelke bekommen würde. Obwohl sie sich ursprünglich selbst zwei Nelken schicken wollte, hatte sie es sich dann doch anders überlegt und beschlossen, das Geld lieber für etwas Sinnvolleres wie zum Beispiel Lebensmittel auszugeben. Daher war sie völlig überrascht, als sie drei Nelken bekam.
    Sie hatte keine Ahnung, wie sie das hinbekommen hatten, aber Diana Kinsale, Seth Darrow und Debbie Grieder hatten ihr jeder eine Nelke mit lustigen und lieben Grußworten geschickt. Vor allem Seths Nachricht ließ sie schmunzeln: »Du & Ich, Süse, für immer fereint«, wobei sie die für Seth typischen Rechtschreibfehler besonders lustig fand. Seth ist so ein toller Freund, dachte sie bei sich. Wenn er noch Schüler an der South Whidbey Highschool wäre, hätte sie ihm sechs Nelken geschickt.
    Sie fühlte sich wesentlich besser, als sie es für möglich gehalten hatte, denn dass sie von Derric keine Blume bekommen würde, war ihr von vornherein klar. Und eigentlich hatte sie auch kein Problem damit, bis Courtney Baker in den Raum kam.
    Sie hielt grob geschätzt einhundert Nelken im Arm und wurde vermutlich die gesamte Mittagspause brauchen, um ihre Nachrichten zu lesen, dachte Becca. Sie sah sich nach Derric um und vermutete, dass er eine ähnliche Last zu tragen haben würde. Doch er war weit und breit nicht zu sehen.
    Eine andere Cheerleaderin, die ebenfalls mit einer stattlichen Anzahl von Nelken bedacht worden war, gesellte sich zu Courtney und bestaunte ihre Blumenpracht. Becca hörte, wie sie sagte: »Wow. Ich brauch dich wohl nicht zu fragen, wie es zwischen euch beiden läuft.« Daraufhin beugte sich Courtney vor und flüsterte der Cheerleaderin etwas ins Ohr, und diese rief aus: »Courtney! Nein! Nie im Leben!«
    Becca konnte nicht mehr hören, was die Mädchen weiter sagten, denn in diesem Augenblick rammte jemand ihren Stuhl mit solch einer Wucht, dass sie nach vorne auf den Tisch fiel. Eine Stimme sagte höhnisch: »Oh, tut mir leid, Fettkuh«, und Becca brauchte nicht mal den Kopf zu heben, um zu wissen, dass Jenn McDaniels hinter ihr stand. Sie sagte: »Krass. Du hast drei Freunde?«, und zeigte auf Beccas Nelken. Becca drehte sich auf ihrem Stuhl herum und sah, dass Jenn nur eine Nelke hatte. Und obwohl das sonst nicht ihr Stil war, gab sie zurück: »Ich hab wenigstens drei, Jenn ...« Das war alles.
    Jenn nahm ihre Nelke und warf sie Becca auf den Schoß. »Ja, toll«, gab sie schnippisch zurück. »Du hast wenigstens drei«, und stapfte davon mit Gedanken wie Klugscheißer-Fettarsch ... die hässliche Kuh ... und noch ein paar anderen, an denen man Jenn McDaniels immer sofort erkennen konnte.
    Becca seufzte, doch gleichzeitig merkte sie, dass Jenns Flüstern sie nicht mehr so verletzte wie am Anfang. Sie dachte darüber nach und fragte sich, ob es wohl bedeutete, dass sie sich dem wahren Zweck ihrer Gabe annäherte, von dem ihre Großmutter immer gesprochen hatte: Man soll versuchen, sich in jemanden hineinzuversetzen und sich in dessen Innern eine Weile aufzuhalten, um ihn besser zu verstehen, hatten ihre Anweisungen gelautet. Damals hatte Becca

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