When the Music's Over
höchsten zu stehen, es gab keine Widerworte von den anderen, und Brad wurde mit einem kleinen Schubs wieder in Bewegung gesetzt.
Endlich, er hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, hielten sie erneut an. Dann wurde ihm die Augenbinde abgenommen. Blinzelnd versuchte er seine Umgebung zu erkennen.
Sie befanden sich in einer Art Lagerraum. Bis unter die Decke reichende, unter dem Gewicht ihrer Last sich durchbiegende Regale, dicht mit staubigen, vergilbten Akten und Manuskripten bepackt – irgendein Archiv. In die senkrechten Spalten zwischen den Regalen waren stark rußende Fackeln geklemmt. Mein Gott, was taten diese Kinder hier? Der Ort war eine einzige Feuerfalle!
Faizul stand mit besorgter Miene neben ihm, während sich Ali ganz ruhig mit dem Jungen mit dem albernen Baseballcap unterhielt – seinem Kontaktmann.
»Hältst du das hier immer noch für so eine gute Idee?«, wisperte Faizul in sein Ohr.
»Haben wir jetzt noch die Wahl?« Brad zuckte die Schultern. Wollte sie etwa, dass er ihr versicherte, alles sei in Ordnung? Das konnte er beim besten Willen nicht. Er hatte schon manchmal den Verdacht gehabt, dass die kleine Faizul in ihm ihren edlen Ritter sah. Unter anderen Umständen wäre das recht schmeichelhaft gewesen und er hätte so eine Gelegenheit sicher nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Also, ihr wollt uns berühmt machen.« Eine spöttische, abgeklärte Stimme – klar und unheimlich selbstbewusst drang sie aus dem Schatten des Gewölbes. »Oder ist es vielleicht anders herum, wir machen euch berühmt, hm?«
Sunshine kam auf die Gruppe zugeschlendert. Im Vorbeigehen klatschte sie mit Käppi und Danuta hoch-fünf ab. Sie wollte für die VID-Typen ein Zeichen setzten: Die Tunnel-Soldaten dachten wie ein Gehirn, funktionierten wie ein Körper und zusammen waren sie einfach unschlagbar.
»Ich denke, dies hier wird ein Deal auf Gegenseitigkeit.«
Brad trat vor. Die Verhandlungen waren soeben eröffnet worden. Er musterte die junge Frau, die jetzt langsam auf ihn zukam. Vermutlich sechzehn oder siebzehn Jahre alt, schwer zu sagen. Da war etwas in ihren Augen, das er schon einmal gesehen hatte: bei Überlebenden einer Katastrophe.
»Du stellst Bedingungen, VID-Mann?« Sie grinste ihn anerkennend an. Sunshine schätzte einen starken Gegner.
»Exklusivrechte heißt das Zauberwort.« Brad erwiderte das Grinsen.
»Gut«, sie nickte, »aber ich persönlich gebe frei, was ihr ins Netz speisen könnt.«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage.« Faizul konnte sich nicht länger zurückhalten. »Ich bin die Producerin der Show, und ich entscheide, was gesendet wird.«
»Und wir machen die Show, und deshalb entscheide ich.«
»He«, Faizul wollte gerade Luft holen und loslegen – von dieser überheblichen Punkerin ließ sie sich doch nichts sagen –, als Brad sie anstieß.
»Überlass das mir.« Er wandte sich an Sunshine. »Was genau bezweckt ihr mit eurer Aktion? Nein, sag nichts, lass mich raten. Ihr wollt ernst genommen werden, ihr wollt ein Zeichen setzen, und ihr wollt nicht länger als wahnsinnige, menschenverachtende Terroristen bezeichnet werden. Stimmt’s?«
Sunshine und die anderen nickten zustimmend. Auf dem Gesicht von Sunshine zeichnete sich Verstehen und Anerkennung ab.
»Dachte ich’s mir.« Gut, das war schon mal ein Fortschritt. »Sehen wir es mal so: Ihr seid im Widerstandsgeschäft, wir sind im Mediengeschäft. Ich rede euch nicht rein und ihr uns nicht. Wenn ich euch jetzt sage, dass wir genau wissen, wie man eine gute Story macht und wie man sie am besten unter die Leute bringt, so glaubt ihr uns das, und zwar einfach weil das unser Job ist und wir wissen, was wir tun. Und würdet ihr etwas anderes glauben, wären wir jetzt nicht hier.«
Das war vermutlich die längste Rede, die Brad je aus dem Stegreif gehalten hatte, und er fand, dass er seine Sache recht gut gemacht hatte. Sunshine fand das auch. Sie sah die Tunnel-Soldaten abwartend an. Die nickten zustimmend. Brad und Ali sahen es – beide atmeten tief durch.
»Das sind die Regeln: Ihr dürft bei unserer Aktion dabei sein, könnt alles aufzeichnen, doch wenn ich sage ›lauft‹, dann lauft ihr, und wenn ich sage ›springt‹, dann springt ihr. Kein Gerede, kein ›nur noch diesen einen Shot‹. Sind wir uns einig?«
Die drei sahen sich an und nickten ihr Einverständnis. Wie Brad schon gesagt hatte, die Wahl hatten sie längst nicht mehr.
»Ich würd gern ein paar Kurzporträts von euch allen machen.« Jetzt
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