When the Music's Over
ihre Daseinsberechtigung demonstrieren, indem sie ein paar Kinder abschlachten.«
Brad gab Ali ein Zeichen, auf Sunshines Gesicht zu zoomen. Er war beeindruckt, die Punkerin hatte die Rhetorik eines altgedienten Politikers und den Fanatismus eines wahren Gläubigen. Selbst er war in dieser Minute bereit, ihr alles zu glauben und ihr überallhin zu folgen – sogar bis auf das schwer bewachte Areal des Tempelhofer Flugplatzes.
»Was werden wir also tun? Abwarten, bis sie kommen?«
»Nein!«, brüllte die Gruppe.
»Oder gehen wir wieder raus und machen sie fertig?«
»Ja!«
Vergessen war die Angst. Die Tunnel-Soldaten waren bereit.
Diesmal wählten sie eine andere Taktik. Dicht an den Boden gepresst, krochen sie zu den alten Hangars. Dicke, vor sich hin rostende Rollen NATO-Draht konnten sie genauso wenig aufhalten wie die trägen Suchscheinwerfer, die regelmäßig die Dunkelheit durchstachen. Sie verständigten sich nur durch Handzeichen. Sunshine hoffte, dass die Miliz nicht mit einem zweiten Angriff in der gleichen Nacht rechnete.
Plötzlich wurde Dreisatz von den rotierenden Scheinwerfern erfasst. Die Augen in Panik aufgerissen, stand sie regungslos da. Ali schlug ihr hart in die Kniekehlen, und sie ging zu Boden. Doch zu spät. Schrille Sirenen gellten über das Flugfeld, klickend sprangen hunderte gleißender Scheinwerfer an. Von den Hangars näherte sich eine Meute Milizjeeps und schnitten den Rückzug ab. Jetzt blieb ihnen nur noch ein Weg offen.
»Wir greifen an. Vorwärts, Tunnel-Soldaten. Tod den Vierfings!«
»Tod den Vierfings!«
Adrenalingeladen stürmten sie vorwärts. Da vorne stand das Raumschiff der Aliens, ihr Angriffsziel. Viel zu schnell wurden seine bedrohlichen Umrisse größer. Und dann waren sie in Angriffsreichweite und feuerten alles, was ihnen verblieben war, auf den Feind ab.
Das Schiff war riesig. Der Anblick traf Sunshine physisch, wie ein Faustschlag, nahm ihr für einen Augenblick den Atem. Ihr wurde auf einmal bewusst, dass sie es in ihren Erinnerungen kleingedacht hatte.
Wie durch einen Zoom sah sie jede Einzelheit: das tiefe Schwarz der äußeren Hülle; die ausgefransten, verschmorten Ränder des Hitzeschildes; die versenkten Waffenschächte, die sich nur allzu bald öffnen würden, um ihre tödlichen Geschütze auf die lächerlich kleine Gruppe zu richten; die untere Einstiegsluke, die sich soeben nach oben schob, und die Rampe, die sich auf das Flugfeld senkte.
Sie wussten, dass sie da war. Und sie würden kommen, um sie zu holen, um zu beenden, was sie damals begonnen hatten. Sie hatten etwas mit ihrem Kopf gemacht damals in dem Raumschiff. Es gab viele Begriffe für Schmerzen. Sie hatte es verdrängt, ignoriert, nicht wahrhaben wollen – sie waren in ihrem Kopf gewesen und sie hatten mit ihren Instrumenten in ihren Gedanken gestochert. Und jetzt war sie für immer ein Teil von denen, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte, und das war schlimmer als Schmerzen.
Sie würden kommen, sie zu holen. Sie würden sie alle holen. Alles war zu Ende, alles war vergeblich, sie hatten versagt. Die Tunnel-Soldaten waren fertig. Da sah sie Dreisatz – sie rannte direkt auf das Schiff zu.
Dreisatz rannte. Sie legte ihre ganze Seele in diesen Lauf. Eine Stimme schrie laut und völlig rau vom vielen Schreien: »Tu’s nicht, tu’s nicht, tu’s nicht!« Sie konnte nicht ausmachen, ob es Sunshine war, die sie aufhalten wollte, oder ob die Stimme in ihrem Kopf war. Es spielte auch gar keine Rolle mehr, sie hatte sich längst entschieden.
Das Gewicht der Handgranaten und des Sprengstoffs zog sie nach unten, die Beine wurden ihr schwer. Das Klatschen ihrer Badelatschen auf dem rissigen Beton klang, als würde sie durch tiefen, zähen Teer laufen, so als würde das Flugfeld versuchen, sie in sich einzusaugen. Doch das würde sie nicht zulassen. Sie hatte ein Ziel.
Dreisatz lief wie in einer Zeitblase. Um sie herum bewegten sich alle so schnell – ihre Freunde, der Feind, sie waren verwischte Schemen –, sie konnte sie kaum noch erkennen. Irgendwo sagte jemand etwas unglaublich Kluges: »Das ist die Wirkung des Stummen Dröhnens. Deine Zeit ist fast abgelaufen.« Es war eine Stimme, die sie sehr gut kannte, ihre eigene.
Und dann war sie da, lief die Rampe zum Mutterschiff hoch, konnte die offene Luftschleuse nur schemenhaft erkennen. Sie spürte Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht, das war das Blut, das aus ihrer Nase und ihren Augen tropfte. Dreisatz machte sich nicht die
Weitere Kostenlose Bücher