When the Music's Over
er lapidar hinzugefügt und damit Blues kurz aufflackernde Hoffnung abgewürgt. Er merkte, dass tief unter all dem Zynismus und der Desillusion immer noch ein kleines Kind auf das große Comeback der Band wartete.
»Klar, kein Problem, das kriegen wir hin«, hatte Shell nur gesagt, ohne auf Blues Blicke zu achten. In jenen Tagen reagierte Shell sowieso auf niemanden mehr. Jaki war vor ungefähr einer Woche abgereist. Blue hatte sie noch am Tag vorher in der kleinen Pension im Marktviertel besucht, wollte sie überreden, zu den Runners zurückzukommen, und versuchte zu übersehen, dass ihre Tasche bereits gepackt war.
»Wir brauchen dich, Shell braucht dich. Ich weiß, er kann manchmal ein richtiges Arschloch sein, aber …« Er hatte hilflos abgebrochen. Wie sollte er sie überzeugen, wenn er selbst nicht überzeugt war?
»Willst du es denn immer noch nicht wahrhaben, Blue?«, hatte sie traurig gesagt. »Mit den Runners ist es doch längst vorbei.«
»Wie kannst du so was sagen, nach all den Jahren, die du mit uns unterwegs warst«, brauste er auf.
»Diese Jahre sind Vergangenheit. Die Band ist längst Geschichte. Warum sonst, glaubst du, ist dein Bruder fort?« Sie war auf ihn zugegangen, hatte die Arme um ihn gelegt und ihn an sich gedrückt. »Willst du mir nicht Glück wünschen, Blue?«
Doch er hatte nur »Alle lassen mich im Stich« gemurmelt. Dabei tat es so gut, Jaki zu spüren, ihre Wärme und ihre aufrichtige Freundschaft.
Jaki hatte ihn lange nachdenklich angesehen. Dann sagte sie: »Weißt du, was dein größtes Problem ist? Du wartest immer auf jemanden, der dich rettet. Doch Louisa konnte dich nicht retten und Pierce wird es auch nicht tun. Die Wahrheit ist, dass niemand dich retten kann außer du selbst. Ich lasse dich nicht im Stich, Blue. Ich kann nur nicht länger mit ansehen, was du dir antust.« Sie löste sich sanft aus der Umarmung. »Und weißt du, was mich am traurigsten macht? Dass du dich selbst schon längst im Stich gelassen hast.« Das sollte das letzte Mal sein, dass er sie sah.
Vor einiger Zeit hatte er sich angewöhnt, in den frühen Morgenstunden an der Küstenlinie der Westseite entlangzugehen. Vorbei an Hans Gottschalks schwimmenden Wohnblasen, die müde in der Dünung pendelten, gerade so, als hätten sie um diese Tageszeit noch nicht ausgeschlafen, hinauf zu dem höchsten Punk der Insel. Dort war er allein mit seiner Vergangenheit und seinem Gewissen.
Und dort hatte er Rashala getroffen. Die Frau, die es geschafft hatte, in einem schillernden, oberflächlichen Ort wie Freezone zur Legende zu werden. Sie war alt. Das war das Erste, was ihm auffiel. Auf Freezone gab es keine alten Leute, sie passten nicht in das Gesamtkonzept der Insel. Takaheshi war auch alt, doch er war Geld, und Geld war alterslos. Rashala hatte es jahrzehntelang geschafft, sich den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen. Zeitlos und alterslos, war ihr Bild in den Medien das einer Frau von Mitte vierzig, einer Pop-Ikone. Nun war ihr Haar lang und weiß, aber immer noch von metallicfarbenen Strähnen durchzogen. Ihre Hände waren die einer Künstlerin, schmal und dennoch kräftig genug, um aus Metall und Feuer ihre Kunst zu schaffen. Kunst, die vor sich hin rostete und protestierend schrille Disharmonien von sich gab.
Da stand sie nun und schaute aufs Meer. Sie sah nicht unglücklich aus oder gar so, als wollte sie sich vor der Welt verstecken. Nein, Rashala war da, wo sie sein wollte, so einfach war das. Blue überlegte, ob er sie ansprechen durfte. Da drehte sie sich um und sah ihm direkt in die Augen, sah in seine Seele.
»Seltsam, wie die Dinge immer wieder zu einem zurückkommen, nicht?«
Sie sagte es leichthin, die Stimme kaum erhoben, die Worte fast von ihren Lippen geweht. Aber Blue hörte sie überdeutlich. Er nickte – ja, es war schon seltsam. Pierce war gegangen und er war zurückgekommen, doch nur, um wieder zu gehen. Da sah er, wie Rashala die Arme ausbreitete und sich in die Tiefe fallen ließ. Doch anstatt zu fallen, glitt sie sanft auf dem Wind, der ihre Stimme hatte stehlen wollen, dahin. Stieg immer höher hinauf in den endlos indigoblauen Himmel. Blue blinzelte. Rashala stand immer noch auf den künstlichen Felsen und nickte ihm zu. Er meinte ein spöttisches Lächeln in ihren Mundwinkeln zu sehen. Und dann war sie endgültig verschwunden. Und Blue fragte sich, ob sie jemals da gewesen war.
Als er zur Hazienda zurückkam, erfuhr er, dass Jaki abgereist war. Niemand wusste
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