Whiskey für alle
Jahresende musste Fred Rimble wiederholt herhalten, zu seinen früheren Unglücksfällen kamen ein gebrochenes Schlüsselbein, gebrochene Hände und Rippen und zu allem Überfluss auch noch der Verlust des zweiten Ohres. Dieser dramatische Höhepunkt bescherte Jim die glücklichste Weihnacht seit seiner Kindheit. Die ganzen Feiertage hindurch wanderte Maggie kopfschüttelnd umher und bedauerte den armen Mann, dem das Schicksal so übel mitgespielt hatte. Sie selbst aber blieb schmerzfrei.
Als er ihr die Geschichte mit dem zweiten Ohr auftischte, schlug sie vor, er solle Fred aufsuchen und ihn und die Kinder zu Weihnachten einladen.
Das konnte er gerade noch so abbiegen. »Ich kenne Fred. Er gehört zu den Menschen, die Weihnachten am liebsten zu Hause verbringen.«
»Aber wer soll den Weihnachtsbraten zubereiten?«
»Das ist kein Problem. Das älteste Mädchen ist schon fünfzehn, und dann ist da noch eine Frau aus der Nachbarschaft, die ab und an bei ihm vorbeischaut.«
»Was heißt das, ein Frau aus der Nachbarschaft?«
»Eine Nachbarin halt.«
Maggie sah ihn forschend an, ob er ihr womöglich etwas verberge. »Doch nicht etwa die Frau von dem Mann, mit dem Freds Frau durchgebrannt ist?«
»Wo denkst du hin! Fred ist nicht so einer von der Sorte.«
»Natürlich nicht«, hieß es prompt. »Das wollte ich auch gar nicht gesagt haben.«
Bis zum Frühling hielt sie durch. Sonst hatte sie schon im Januar die meiste Zeit im Bett gelegen und die übrigen Tage eingemummelt unten herumgesessen. Jede Woche, manchmal auch nur alle zehn Tage, versorgte Jim sie mit einer neuen Nachricht, wohlüberlegt, gewissermaßen rationsweise. Maggie nahm ihm begierig jede kleinste Dosis ab und delektierte sich daran. Im Januar sah sich Jim gezwungen, die älteste Tochter namens Cornelia und die jüngste, der er den Namen Trixie gab, ertrinken zu lassen. Er konnte nicht anders und musste zum Äußersten greifen. Seiner Mutter hatte es gefallen, sich an einem trüben Nachmittag wieder ins Bett zu verziehen, angeblich wegen eines Herzanfalls. Selbst der Hausarzt, der sonst jeden ihrer Schachzüge durchschaute, war perplex.
»Es ist durchaus möglich, dass es ein ganz leichter Herzinfarkt ist«, sagte er Jim unter vier Augen.
Jim überlegte. Ein weiterer Bruch machte es nicht mehr, auch nicht der Verlust einer Hand oder eines Beins. Er hatte sie zu gut angefüttert. Sie brauchte stärkere Kost, wollte er eine Wirkung erzielen. Also tischte er ihr die Geschichte mit Cornelia und Trixie auf. Mit Erfolg. Maggie war im Nu aus dem Bett, aller Herzschmerz vergessen.
»Ich muss unbedingt zu dem Begräbnis«, erklärte sie. Jeder Versuch, sie davon abzubringen, scheiterte. Am nächsten Morgen war sie früh auf und besorgte sich eine Tageszeitung. Sorgfältig ging sie alle Todesanzeigen durch.
»Rattigan, Remney, Reeves«, las sie im ernsten Ton, »Riley, Romney, Rutledge. Kein Rimble.«
»Ich kenne Fred, so ist er eben. Er hasst es, Aufsehen zu erregen«, beruhigte er sie. »Die Trauerfeier findet selbstverständlich in aller Stille und nur im engsten Kreis statt. Deshalb auch keine Anzeige in der Zeitung.«
»Dann schicken wir ihm ein Telegramm und ein Beileidsschreiben.« Maggie war fest entschlossen. »Ich setze es selbst auf.«
»In Ordnung. Das Telegramm schicke ich gleich heute früh. Und du setzt dich hin und schreibst den Brief, ich nehme ihn nach der Mittagspause mit und bringe ihn zur Post.«
Jim verbrannte ihn dann in seinem Büro, tippte aber eine Woche später unter einer fiktiven Dubliner Adresse einen Antwortbrief. Das Scheiben erwies sich als die denkbar beste Medizin für Maggie. Wochenlang musste sie nicht mehr das Bett hüten. Als die Wirkung nachließ, griff er auf die anderen Kinder zurück, eines starb an Lebensmittelvergiftung, ein anderes bei einem Autounfall und noch ein anderes kam bei einem Brand um. Fred Rimble war der Feuersbrunst gerade so entkommen. Es war eine Wendung, die Jim sehr zugute kam, denn da Freds Haus völlig niedergebrannt war, gab es auch keine feste Adresse mehr.
Der Tod der Rimble-Kinder hatte eine tiefe Wirkung auf Maggie. Sie ging jetzt regelmäßig zur Frühmesse, ließ keine aus, egal, wie das Wetter war. Täglich erkundigte sie sich bei Jim nach Fred, doch die Nachrichten flössen spärlich. Dann hieß es, er hätte das Land verlassen und in Australien Arbeit gefunden.
»Zu viele schlimme Erinnerungen am Heimatort«, meinte sie verständnisvoll, als Jim ihr von Freds Ausreise
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