Whiskey für alle
wirst sehen, er ist danach wie ausgewechselt.«
»Ich will dir jetzt was sagen, Mick Kelly, und dann ist Schluss.« Tom Cutler erhob sich und sah sein Gegenüber scharf an. Er fuhr sich mit der Zunge über die schmalen Lippen. »Als ich das hier übernahm, hatte ich nichts als Schulden. Man riet mir zum Verkauf, aber ich wollte um jeden Preis durchhalten. Es hat mich die besten Jahre meines Lebens gekostet, das Geld, das mein Vater zum Fenster rausgeschmissen hat, zurückzuzahlen. Für einen jungen Mann wie mich damals war das eine fürchterliche Belastung, und jetzt soll ich, alt wie ich bin, auch noch die Schulden meines Sohnes begleichen? Soll darin mein Leben bestehen, die Schulden von gleich zwei Säufern zurückzuzahlen, die vom Vater und die vom Sohn?«
»Ich kann dir da nicht weiter raten, Tom«, erklärte Mick Kelly ruhig. »Ich kann nur sagen, dass es um deinen Sohn nicht gut steht.«
»Ich bin daran nicht schuld, Mick.«
»Ich hab auch nicht gesagt, dass es an dir liegt, Tom. Aber wenn das so weitergeht, verliert der arme Kerl den Verstand, dabei wäre es für ihn ein Leichtes, sich Geld zu verschaffen, wenn er nicht so verdammt ehrlich wäre.«
»Wie meinst du das?«, fragte Tom Cutler und runzelte die Stirn.
»Er könnte doch glatt hinter deinem Rücken einen Sack Korn verkaufen oder einen oder zwei Gallonen Milch einem guten Freund zukommen lassen. Das machen viele so, und es stört keinen, aber für einen John Cutler kommt so etwas nicht in Frage. Ab und an ein Sack Kartoffeln weniger würde doch gar nicht auffallen.«
Wütend stampfte Tom Cutler mit dem Fuß auf. »Er soll sich unterstehen!«, rief er zornig. »Sollte auch nur ein einzelnes Korn, eine Kartoffel, ein Liter Milch fehlen, ich würde es sofort merken. Und das weiß er. Du weißt das genauso gut, und ich weiß das, und deshalb hat er bisher auch nichts mitgehen lassen. Ein erstes Mal würde ohnehin das letzte Mal sein. Vergiss nicht, ich habe noch einen zweiten Sohn, und der würde sich nicht zweimal bitten lassen, herzukommen.«
»Ich beschwöre dich, Tom, brich nicht deine Übereinkunft mit John.« Mick Kellys Ton war flehentlich.
»Ich habe mich an unser Abkommen gehalten. Er hatte sogar sein eigenes Vieh, hat nur den Erlös immer wieder versoffen.«
»Du kannst mir glauben, er trinkt nicht mehr als jeder andere.« Mick Kelly ließ nicht locker.
»Ich bin müde, Mick.« Tom Cutler setzte sich wieder. Er brachte damit deutlich zum Ausdruck, dass für ihn die Diskussion beendet war. Mick Kellys Blick wan-derte zwischen den Eheleuten hin und her. Kurz erwog er, ein letztes Mal an den Vater zu appellieren, ließ es dann aber. Mann und Frau hatten sich etwas vorgebeugt und starrten unverwandt auf den Aschekasten des Stanley. Ihre Haltung bezeugte nicht nur ein gewisses Einvernehmen, sondern war auch die Aufforderung an Mick zu gehen.
»Gute Nacht«, warf Mick Kelly ihnen noch zu, als er die Küchentür öffnete.
»Gute Nacht, Mick«, sagten sie gleichzeitig, ohne sich nach ihm umzudrehen. Mick hatte das Gefühl, die Tür zu einer Grabstätte zu schließen. Mit raschem Schritt eilte er heim zu seiner Frau. Er hatte ihr versprochen zu erzählen, was er erreicht hatte, bevor er in den Pub ging.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu, als John Cutler einen letzten Versuch startete und dem alten Mann klipp und klar seine Forderungen stellte.
»Ich muss mich von Kopf bis Fuß neu einkleiden, es duldet keinen weiteren Aufschub. Du wirst außerdem die Summe, die du mir zahlst, verdoppeln. Nicht einen Penny weniger. Alle anderen in der Nachbarschaft stehen besser da als ich.«
»Lass es mich überdenken«, hatte Tom Cutler erwidert. »Noch ist das Jahr nicht zu Ende.«
Es war die Art und Weise, wie er ihn hatte abblitzen lassen, die John aufgebracht hatte. Als hätte er wie ein unbedachtes Kind ein unverschämtes Ansinnen gestellt, das man nicht ernst nahm und dem man nur spöttisch eine Abfuhr erteilte. Spielte sein Vater auf Zeit? Wenn ja, warum? Der Alte hatte in den letzten Wochen auffallend allein vor sich hin gearbeitet, sich nicht darum geschert, ob John morgens aufstand oder länger schlief, vor sich hin gepfiffen oder John gemieden, wenn der über sein Los grummelte. Das war eine völlig neue und unerklärliche Phase in ihrem Miteinander. Führte er etwas im Schilde? Der Herbst ging zu Ende, und John kam immer mehr ins Grübeln. Man bat ihn nicht mehr, im Dorf die nötigen Einkäufe für Haus und Hof zu erledigen. Wollte man ihn
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