Whiskey für alle
der Besinnung gönnen. Leichtfüßig, wie seit Monaten nicht mehr, führte sie das Pony zur Straße. Im Dorf sah sie vor einem der Pubs einen Traktor stehen, der Johns hätte sein können, aber dank der neu gewonnenen Hochstimmung konnte sie den Gedanken, irgendwas damit zu tun zu haben, verdrängen. Alles, was sie plagte, würde in der Kirche von ihr abfallen. Davon war sie fest überzeugt, wie sollte es auch anders sein. Hatte sie nicht Anspruch darauf?
Mick Kelly stieg am Eingang zum Hof der Cutlers von seinem Motorrad. Nicht, dass er einen Brief für sie gehabt hätte, aber er hatte beschlossen, einen zweiten Vorstoß bei Tom Cutler zu wagen. Am Tag zuvor war er Minnie auf ihrem Weg ins Dorf begegnet, aber sie hatte ihr Pony kein bisschen gezügelt, nicht einmal seinen Gruß erwidert. Doch dass die Perlen des Rosenkranzes durch ihre Finger glitten, hatte er sehr wohl bemerkt. Er war dann wieder aufgestiegen und weitergefahren, hatte sich aber vorgenommen, einen zweiten Versuch zu machen. Diesmal würde er nicht locker lassen und Minnie mit ins Gespräch ziehen, ob sie es wollte oder nicht. Er glaubte, dass sie im Innersten ihres Herzens Mitgefühl für John hegte, und das wollte er ausnutzen. Wenn er sie bei seiner Ankunft allein vorfinden würde, wäre das von Vorteil, doch selbst wenn nicht, würde er sie zur Stellungnahme zwingen. Die Fläche links vom Haus wirkte anders als sonst und unheimlich. Die letzten Blätter der Eschen, die dort standen, raschelten im Morgenwind. Das ihm vertraute Umfeld hatte etwas Befremdliches an sich. Ihn trieb die Neugier nachzuforschen, was es damit auf sich hatte, aber er brachte es nicht fertig, sich genauer umzuschauen. Das mochte daran liegen, dass er im Unterbewusstsein die grauenvolle Wahrheit ahnte. Er zwang sich, den Blick nach links zu wenden, und kaum, dass er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah, stand in seinen Augen das blanke Entsetzen. Was da leise schwankte, war nur noch das Zerrbild eines menschlichen Körpers. An dem kräftigen Zweig einer der Eschen hing John Cutler, um den Hals das glänzend schimmernde Seil, das seine Mutter tags zuvor im Dorf erstanden hatte. Die Füße waren bloß, die Schuhe waren von ihnen geglitten und lagen auf der Erde. Mick Kelly bekreuzigte sich. Achtlos ließ er das Fahrrad fallen und war in der Aufwallung seiner Gefühle im Begriff, gegen die Küchentür zu donnern. Im letzten Moment besann er sich eines Besseren, holte tief Luft und klopfte sacht an. Unversehens ging die Tür auf, und er sah sich Tom Cutler gegenüber.
»Ich bringe schlechte Nachricht.« Mick Kelly hielt den Kopf gesenkt, um den Blick in die wässrigen Augen zu vermeiden. Doch Tom Cutler machte es ihm leicht.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich wollte gerade Hilfe holen.«
Er hatte sich, wie er erklärte, nur rasch umgezogen und ein frisches Hemd übergestreift. Seine Jacke lag auf dem Tisch. Minnie saß stumm am Stanley, den Rosenkranz zwischen den Händen, und wiegte den Körper vor und zurück. Ihre Lippen bewegten sich im stillen Gebet.
»Kannst du ihn herunterholen?«, fragte Tom Cutler.
»Selbstverständlich.« Mick war von der sachlichen Herangehensweise des Alten überrascht. Es musste ihn schließlich tief getroffen haben, und trotzdem wirkte er völlig beherrscht.
»Du wirst eine Leiter brauchen«, sagte Tom Cutler.
»Und ein Messer«, fügte Mick hinzu.
»Wofür ein Messer?«
»Um das Seil durchzuschneiden.«
»Was du brauchst, ist eine Säge«, erklärte Tom. »Eine Säge, um den Ast abzusägen.«
Mick traute seinen Ohren kaum, als er die Begründung des alten Mannes hörte. »Einen Ast hat man umsonst, ein Seil kostet Geld. Außerdem benötige ich es für neue Zügel.«
Er knöpfte sich die Jacke zu und ging Mick voran zu einem kleinen Anbau, holte eine Leiter heraus und reichte sie Mick. Dann ging er noch einmal hinein und erschien gleich darauf mit einer rostigen Säge. Er bedeutete dem etwas ratlosen Mick, ihm zu folgen, und stapfte hinüber zu der kleinen Baumgruppe. In der Krone der Esche tanzten die Blätter über seinem toten Sohn. Einige fielen zu Boden und verdichteten den bereits vorhandenen Blätterteppich.
Dousie O’Dea
In der Gemeinde Tanvally konnte man nach Dousie O’Dea fragen, wen man wollte, die Antwort war stets dieselbe. Es gäbe weit und breit in der Grafschaft keine ihresgleichen, was das Herrichten von Leichen für die Aufbahrung anging. Mit zunehmendem Alter machte sie sich mit ihrer Dienstleistung rar,
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