Whiskey für alle
wurde wählerisch und übte ihre Kunstfertigkeit nur noch in seltenen Fällen aus. Und schon bald kam der unheilvolle Tag, an dem sie erklärte, sich gänzlich aufs Altenteil zurückzuziehen. Niemand vermochte sie zu überreden, weiterzuarbeiten. Selbst ein auf dem Totenbett geäußerter letzter Wunsch konnte sie nicht erweichen.
Es waren die kleinen Ungereimtheiten, in denen sich Dousie übertraf. Wo einst, als das Leben in den Schläfen pulsierte, eine Warze das Gesicht verunziert hatte, war sie im Antlitz des Toten völlig verschwunden. Haar, das bei dem lebendigen Menschen glatt und strähnig gewesen war, verwandelte sich unter Dousies Frisierkunst zu einer lockigen Pracht, sodass selbst erfahrene Trauergäste bei dessen Anblick den Atem anhielten. Für die Behandlung von Runzeln und Falten hatte sie ein besonders glückliches Händchen. Sie massierte und knetete die alte Haut von Senioren so gekonnt, dass eine Runzel nach der anderen auf wunderbare Weise verschwand; schließlich erstrahlte die Gesichtshaut zart und geschmeidig wie die eines jungen Mädchens. Unschöne Pickel wurden zu attraktiven Schönheitsflecken, kleinere Unstimmigkeiten an Hals oder Ohren erfuhren eine raffinierte Korrektur. Hatten sie vorher das Aussehen beeinträchtigt, so erschienen nun die Proportionen im rechten Licht.
Ein einziges Mal nur war ihre Kunstfertigkeit professioneller Begutachtung unterworfen. Es ging um die Leiche eines gewissen Baldy Mullane, eines alten Landarbeiters, der sich völlig unerwartet beim Stecken von Zwiebeln auf dem Stückchen Land hinter seiner Hütte vom Leben verabschiedet hatte. Man hatte Dousie gerufen, um ihn für seine Reise in die nächste Welt herzurichten. Mit der ihr üblichen Selbstverständlichkeit war sie der Aufgabe nachgekommen. An Getränken hatte es auf der Totenwache zur nächtlichen Stunde nicht gemangelt. Zwei Achtzig-Liter-Fässer Porter standen bereit, auch Wein und Whiskey flössen reichlich. Baldy selbst hatte zu Lebzeiten für eine anständige Totenwache vorgesorgt. Auf dem Höhepunkt der Trauerfeierlichkeiten, als sich vor dem Raum, in dem der Tote aufgebahrt war, die Trauergäste nur so drängten, hieß es plötzlich, ein Reisender aus Amerika namens Louis Blep sei eingetroffen und habe den Wunsch geäußert, dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, wolle aber gleichzeitig auch die Ausstattung der Leiche begutachten. Blep war eine kleine, rundliche, redselige Person, seine Mutter stammte aus Tanvally, war dort geboren und aufgewachsen, dann aber aus Gründen der Arbeitssuche gezwungen gewesen, nach Amerika auszuwandern. In Chicago hatte sie einen erfolgreichen Bestattungsunternehmer deutscher Herkunft geheiratet. Er hieß Ernst Blep, und Louis war der einzige Spross dieser ehelichen Beziehung. Unmittelbar nach seiner Konfirmation hatte ihn seine Mutter für die Ferien nach Tanvally zu ihrem Elternhaus gebracht, und seitdem hatte Louis die mütterliche Heimstatt regelmäßig besucht. Seine Mutter und die Großeltern waren schon lange tot, doch an Verwandten mangelte es nicht. Bei einem dreiwöchigen Urlaub konnte er gut und gerne reihum für ein paar Tage Unterschlupf finden. Selbst wenn er nichts von O’Deas Fähigkeiten als Heimbürgin gewusst hätte, mit seinem Auftauchen im Trauerhaus hatte man so oder so gerechnet.
Zur Begrüßung empfing ihn Baldy Mullanes Tochter mit einem randvollen Glas Whiskey, das er ohne Umschweife pur hinunterkippte. So wollte es der Brauch. Kaum, dass er hatte Luft holen können, wurde ihm ein zweites eingeschenkt. Das nahm er in maßvolleren Schlucken zu sich, musste er doch zwischendurch den Angehörigen sein Beileid aussprechen. Als er sich der Tür näherte, hinter der der Tote aufgebahrt war, begann ein allgemeines Drängen in die gleiche Richtung. Man wollte aus seinem Munde die Bestätigung dessen hören, wovon man seit langem überzeugt war, dass nämlich keiner gegen Dousie O’Dea ankam, was das Herrichten einer Leiche für die Totenwache betraf. Nur einige wenige erhofften sich von dem Besuch, dass Dousies Ansehen einige Kratzer bekommen würde. Das ist der Preis, den jeder, der zu Ruhm gelangt ist, zahlen muss, egal, ob in Tanvally oder sonst wo auf der Welt — immer wird es Menschen geben, die für einen neben sich kein gutes Wort haben.
Bevor Louis Blep den Raum betrat, reichte er Bessie Mullane das leere Glas. Es wäre wenig schicklich gewesen, es mit an die traurige Stätte zu nehmen. Das Glas Bessie anzuvertrauen war zudem eine
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