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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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Garantie, es bei seiner Rückkehr in die Küche wieder gefüllt zu bekommen. Für einen kurzen Moment geriet Louis ins Zögern. Er hatte im Voraus für sich beschlossen, Dousies Bemühungen keiner Kritik zu unterziehen, wiederum beabsichtigte er auch nicht, sie über Gebühr zu loben. Ein freundliches Lächeln und ein leichtes, anerkennendes Kopfnicken würden die Umstehenden zufriedenstellen. Doch auf ein derart überzeugendes Kunstwerk, das sich ihm bot, war er nicht gefasst gewesen. Der Aufgebettete bot das Bild eines Vierzigjährigen. Das Haupt erstrahlte im Licht der Kerzen, die zu beiden Seiten in Zinnhaltern steckten. Das makellose Antlitz widerspiegelte reine Heiligkeit, hätte man seinen Ausdruck in Worte übertragen können, wäre dort zu lesen gewesen: »Bin auf direktem Weg in den Himmel. Baldy Mullane.«
    Louis ging auf ein Knie nieder und flüsterte ein hastiges Vaterunser für die Seele des Verblichenen. Auf der anderen Seite der Bahre saßen auf strohgeflochtenen Stühlen etliche dunkel gekleidete, ältere Frauen, deren geübtem Auge nichts entging. Selbst die geringste Veränderung auf seinem unergründlichen Gesichtsausdruck hätten sie wahrgenommen und entsprechend gedeutet. Ab und an tuschelten die frostigen Gestalten miteinander, zwinkerten sich zu oder stießen sich an — Zeichen von Zustimmung oder Ablehnung über das Verhalten dieses oder jenes Trauergastes. Im Allgemeinen aber bewahrten sie eisige Stille und verwiesen so überschwängliche oder betrunkene Besucher sofort des Ortes. Gerechterweise musste man ihnen zugestehen, dass sie dafür sorgten, den Ernst der Stunde zu wahren. Louis Blep erhob sich, bekreuzigte sich, nickte ehrfurchtsvoll den wachsamen Alten zu und verließ die heilige Stätte. Draußen wurde er sofort umringt, konnte sich aber fürs Erste mit einem vollen Glas retten, das ihm Bessie Mullane reichte.
    »Und?« Einer hatte sich zum Sprecher der Gruppe gemacht und die Frage gewagt.
    »Ich habe in meinem Leben schon viele Visagen von Toten gesehen«, erwiderte Louis Blep und fuhr aus ehrlichem Herzen fort, »aber noch nie so eine wie die da drin. Der Mann ist eine ausgesprochene Schönheit. Wie ist der Name der Dame?«
    »Dousie O’Dea«, kam es wie im Chor.
    »Sie ist ein Naturtalent. In den Vereinigten Staaten brächte sie es mit ihrem Können im Handumdrehen zur Millionärin.«
    Dieses Urteil besiegelte Dousie O’Deas ohnehin schon unumstrittenen Ruf. Louis Bleps Lobpreisung ging von Mund zu Mund. Seit jener Nacht kam es einer Gotteslästerung gleich, wenn jemand ahnungslos und versehentlich eine geringschätzige Bemerkung über Dousie fallen ließ. An ihrem Ruf war nicht zu rütteln. Kein Wunder, dass die Aufgabe ihrer segensreichen Tätigkeit viele, die auf ihre Fürsorge beim Heimgang gehofft hatten, schmerzlich traf. Die Jahre gingen dahin, und Dousie widerstand den hartnäckigen Anfragen und Bitten. Letztendlich gewann jede Familie, die darauf verweisen konnte, dass Dousie O’Dea eines ihrer Mitglieder für die Totenwache hergerichtet hatte, an Ansehen. Eine Stradivari zu besitzen konnte kaum rühmlicher sein. Dem Toten, an den sie Hand angelegt hatte, gereichte es zu Ruhm und Ehre, ein Gedenkstein aus Marmor oder ein keltisches Kreuz verloren dagegen an Wert. Und dabei hatte Dousie nichts an Geschick eingebüßt oder Grund gehabt, von Alters wegen sich nichts mehr zuzutrauen.
    Im Innersten ihres Herzens wusste sie, dass all ihre Verschönerungsarbeiten, exzellent und einmalig, wie sie waren, die gleiche Handschrift trugen, von unveränderlicher Struktur waren, gewissermaßen so etwas wie sinnlose Kopien darstellten. In Grunde genommen gab es keine, die eine andere an Vollkommenheit überragte. Ein jeder bestätigte, dass alle ihre Arbeiten Meisterwerke und durch nichts zu übertreffen waren. Aber sollte sie sich damit begnügen? Müsste es nicht ein Glanzstück geben, das die Krönung all ihrer Bemühungen war? Es war ein Gedanke, der heimlich in ihr nagte, und je älter sie wurde, desto weniger ließ er sie in Ruhe. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, sich eine der von ihr geschönten Leichen als die gelungenste von allen vorzustellen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Wie sollte sie auch wissen, dass ein wahrer Künstler nie völlige Zufriedenheit erlangt.
    Mit der Zeit traten andere an ihre Stelle. Es bot sich ihr genügend Gelegenheit, die Endprodukte ihrer Nachfolger in Augenschein zu nehmen. Das brachte das Leben einfach mit sich. Wenn Nachbarn starben,

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