Whisper (German Edition)
mit Steinen übersät zu sein, da seine Hufe öfter dagegen schepperten. Ab und an stolperte der Wallach, da so mancher Stein auch für ihn im Verborgenen lag, aber im Allgemeinen fand er ziemlich zielstrebig seinen Weg.
Gelegentlich strich Jasmin ihm über den Mähnenkamm, einfach um ihn zu spüren und zu wissen, dass sie nicht allein war. Die Wildnis war erdrückend weit, dunkel und für sie unüberschaubar. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, in welcher Richtung sich die Ranch befand, und vor allem, was sie erwarten würde. Hier draußen geisterten irgendwo die Wilderer durch das Gebiet und machten den Tieren das Leben zur Hölle. Aber es schienen nicht nur Tiere auf ihrer Abschussliste zu stehen. Die Gruppe war zu neunt. Jaro, Kinsky, Kino und Stefan kannten sich aus. Ihnen war die Wildnis bekannt und vertraut. Jaro und Kino waren sogar ein Teil davon. Kinsky hätte die Jugendlichen niemals mitgenommen, wenn das Unternehmen mit großer Gefahr verbunden gewesen wäre. Also waren Dinge passiert, die definitiv nicht alltäglich waren, und mit denen niemand gerechnet hatte.
Jasmin zuckte zusammen, als sie irgendeinen Tierschrei hörte, den sie nicht identifizieren konnte. Die immer lauter werdenden Vogelstimmen sagten ihr, dass der Morgen bald kommen würde. Bei Tageslicht würde sie sich etwas besser fühlen, als in der pechschwarzen Nacht. Tom trabte irgendwo bergab. Als es wieder ebener wurde, fiel er abermals in leichten Galopp. Es war bemerkenswert, wie zielstrebig das Pferd seinen Weg suchte und auch zu finden schien.
Jasmin freute sich, als der Horizont langsam heller zu werden begann, und sie die Konturen ihrer Umgebung besser sehen konnte. Das Gebiet vor ihr entpuppte sich als sanft gewölbte Fläche, bewachsen mit Gras, Moosen, Farnen, Blumen und Büschen. Ab und an störte ein einzelner Baum die Weite, die vor ihr dahinglitt und, die von hohen Bergen eingerahmt wurde. Zu ihrer linken wuchs der Wald mit den unterschiedlichsten Arten aus Tannen, Weißfichten und Lärchen. Zu ihrer Rechten erstreckte sich die Fläche, um irgendwann auch wieder in einen Wald zu münden.
Je heller es wurde, desto mehr konnte Jasmin erkennen. Als Tom wieder in den Wald eintauchte, verringerte er seine Geschwindigkeit in ein ruhiges Schritttempo. Diesmal konnte Jasmin den Ästen bewusst ausweichen. Der Morgen begann nach und nach zu leuchten und die Sonne sandte ihre sanftroten Strahlen durch die Nadeln. Das Mädchen sah einige Elche vorbeiziehen und bemerkte eine Gruppe von Hirschen, die vor ihr flüchteten. Sie war sich nicht sicher, ob es sich einmal mehr um Wapitis handelte, oder um den heimischen Weißwedelhirsch. Dazu kannte sie sich nicht genug aus. Ein Marder kreuzte ihren Weg und ein Hase hoppelte in weiten Sprüngen davon.
Jasmin überlegte, wie lange sie geritten sein mochte, wie weit sie ihr Weg noch von der Ranch fortbringen würde, als Tom plötzlich stockte und seinen Blick starr nach vorne richtete. Als das Mädchen das ihr mittlerweile wohlvertraute Krächzen hörte, hob sie nur kurz den Kopf. Über ihr saßen sie, die beiden Raben, schauten zu ihr herunter, um nach einer kurzen Verschnaufpause weiterzufliegen. Jasmin sah ihnen hinterher, bemerkte, wie die Sonne das lackschwarze Gefieder beleuchtete, was den Anschein erweckte, als würden zwei schimmernde Sterne vor ihr davonfliegen. Im Normalfall würde Jasmin das als unheimlich bezeichnen. Die Vögel tauchten auf, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Das Mädchen war drauf und dran Tom weiterzutreiben, als sie genau an jener Kuppe, über die die Raben verschwunden waren, eine Bewegung bemerkte. Zuerst dachte sie an ein Tier, doch Tiere trugen im Allgemeinen keine blauen Jacken. Und Jasmin kannte die Jacke. Patrick hatte sie, seit er auf der Ranch war, ständig an, zusammen mit seiner Jeans und den braunen Stiefletten. Irgendwann hatte sie sich mal gefragt, wie ein stiller Computerjunkie sich so schnell in einen offenherzigen Cowboy verwandeln konnte. Im Moment war sie froh, dass er es getan hatte, denn so war es ihr möglich, ihn aus dieser Entfernung auch zu erkennen. Jasmin trieb Tom vorwärts, lenkte ihn an Baumstümpfen und Wurzeln vorbei, ohne daran zu denken, dass er das die gesamte Nacht allein gemacht hatte, und trabte auf den Jungen zu, der Holz aufsammelte und sie, dank des weichen Waldbodens, gar nicht bemerkte. Erst als sie nahezu vor ihm stand, schrak er heftig zusammen, verkniff sich mühsam einen Aufschrei, ließ dafür das gesammelte
Weitere Kostenlose Bücher