Whisper (German Edition)
Von Six Soul aus sind die Gipfel im Norden sichtbar. Finden wir die Gipfel, haben wir die Richtung. Außerdem gibt es Tom. Wenn einer weiß, wie wir nach Hause kommen, dann er. Wir folgen seinem Instinkt. Normalweise sollten Suchtrupps schon unterwegs sein. David Singing Bird und Susanna schlafen auch nicht. Kann mir jetzt mal jemand sagen, was eigentlich passiert ist?“
Es dauerte einige Minuten, bis sich die Jugendlichen einigermaßen gefasst und ihre Situation neu geordnet hatten, bevor Jasmin eine Antwort bekam.
„Wir sind auf Wilderer gestoßen“, erklärte Edith, „zumindest sagte Kinsky das, als wir einen … Markus, was war das für ein Tier?“
„Ein Luchs!“
„Ach ja, ein Luchs. Also, wir haben einen Luchs in einer Falle gefunden. Jaro hat ihn erschossen, da er mit beiden Vorderbeinen gefangen war. Es hat grausig ausgesehen. Als er den Luchs aus der Falle holen wollte, sind wir auf einmal bedroht worden. Zwei Kerle sind herangeritten und haben ihre Gewehre auf uns gehalten. Der Luchs würde ihnen gehören, haben sie gesagt. Echt, wir hatten eine Scheißangst.“
„Keiner hat gewagt, etwas zu unternehmen. Kinsky und Jaro haben sogar noch versucht, mit den Wilderern zu verhandeln“, übernahm Patrick die weitere Erzählung. „Aber sie haben nur gelacht und die Waffen an sich genommen. Taps hat dann plötzlich angegriffen, wobei einer der Typen mit dem Gewehrkolben nach seinen Kopf geschlagen hat. Er hat ihn schwer erwischt, denn Taps taumelte, sodass der andere Zeit hatte, auf ihn zu schießen. Ich glaube, sie haben ihn auch erwischt, denn er hat aufgeschrien, ist aber dann weggelaufen. Das hat einen Streit zwischen den beiden Kerlen ausgelöst. Echt, ich habe geglaubt, man würde uns im Wald alle umlegen. Aber der eine Mann hat uns lediglich befohlen, aufs Pferd zu steigen. Dann hat er uns durch den Wald getrieben. Keine Ahnung wie lange. Irgendwann ist er dann stehengeblieben, hat uns befohlen abzusteigen, hat die Zügel der Pferde aneinandergebunden und uns einfach ausgesetzt. Wir haben versucht mit ihm zu reden, uns nicht allein zu lassen, aber er hat nur gelacht und gemeint, bis man uns finden würde, wären sie längst schon über alle Berge. Er ist mit den Pferden und all den Sachen am Sattel einfach davongeritten, und das war´s. Wir sind dann losmarschiert. Es wurde bereits dunkel und wir wollten uns einen geschützten Platz suchen, um zu übernachten. Aber dann ist Judith in die Falle getreten. Wir haben versucht die Falle zu öffnen, es aber nicht geschafft … Mann, die hat vielleicht geschrien. Ich habe noch nie einen Menschen so brüllen hören. Es waren die längsten Minuten in meinem Leben. Also sind wir hiergeblieben. Wir konnten ja nicht weg, und Judith alleinzulassen, kam nicht in Frage. Tja, und dann bist du gekommen!“
Die Wilderer. Jasmin dachte an das Kitz, an die Leichen der Wapitis, an den Bären, den sie gefunden hatten. Jagd mochte für viele Menschen lebensnotwendig sein, und diese grausame Disziplin vielleicht rechtfertigen. Aber das, was hier passierte, war nicht notwendig. Es war die reine Profitgier und das Gefühl der Macht, über das Leben bestimmen zu können. Wie grausam der Mensch seinen Mitgeschöpfen gegenüber werden konnte, wenn es darum ging, das Bankkonto zu füllen, hatte sie gesehen. Die Qualen, die diese Tiere auszustehen hatten, dieses sinnlose Sterben, eine erschreckende Erkenntnis. Es tat ihr im Herzen weh, hautnah mitzuerleben, wie respektlos und herrschsüchtig ihre Art sein konnte, als ein plötzliches tiefes Brummen nicht nur sie hochschrecken, sondern auch Tom zurückweichen ließ.
„Da ist er schon wieder“, kreischte Christina, sprang auf, um sich sofort mit einigen Steinen zu bewaffnen.
Jasmin wandte sich um, hörte das Krächzen im Geäst und das tiefe Knurren, welches zu ihr herüberdrang. Es dauerte nur Zehntelsekunden, die dunkle Gestalt zu erkennen, die sich neben einem der dicken Baumstämme vorbeischob, mit dem Kopf wackelte und abermals ein geräuschvolles Röhren von sich gab. Tom wich weiter zurück, stand im Begriff, die Flucht zu ergreifen, wenn Jasmin nicht rechtzeitig zu seinem Zügel gesprungen wäre. Beruhigend berührte sie das Pferd, der die Nüstern weit geöffnet hatte und deutliche Angst vor dem Raubtier zeigt.
„Nehmt einige Steine. Damit haben wir ihn schon einmal vertrieben.“
Jasmin beobachtete, wie die Kids Steine und Äste sammelten und im Begriff standen, sie dem Bären entgegenzuwerfen. Die Raben
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