Whisper (German Edition)
dir so gern gegeben hätte, es aber nicht konnte.“ Die letzten Worte kamen verkümmert heraus. Johanna hatte sich fest vorgenommen, nicht in Tränen auszubrechen, ein sinnloses Unterfangen. Es war ihr unmöglich all ihre Emotionen im Griff zu behalten. Über sich selbst erschrocken, legte sie ihre Hand über Mund und Nase, versuchte zurückzuhalten, was noch irgendwie ging, aber Jasmin hatte mitbekommen, wie es um ihre Pflegemutter bestellt war, dreht sich um und nahm die Frau ganz einfach in den Arm. Sie drückte sie an sich, legte ihre Arme um ihren Rücken, schloss selbst ihre nassen Augen und spürte, wie der Körper in ihren Händen erbebte.
„Es tut mir so leid“, hörte sie die Frau schluchzen, die ihrerseits ihre Arme um Jasmin gelegt hatte. „Wir wollten nur das Allerbeste für dich und haben dabei alles falsch gemacht. Es tut mir so schrecklich leid, was wir dir angetan haben.“
Jasmin drückte die Frau an sich. Es war unbeschreiblich, was in ihrem Körper vorging. Es war, als würde eine tonnenschwere Last, die ihre Seele platt gedrückt hatte, von dieser rutschen und sie endlich freigeben, sodass Jasmin in der Lage war, frei durchzuatmen. Es war einer der tiefsten Atemzüge, die sie je getan hatte, und er wirkte erlösend und befreiend. Irgendwas verschwand aus ihrem Inneren und sie spürte ihr Herz mit ungewohnter Kraft gegen ihre Rippen hämmern. Jasmin dachte an das Medizinrad im Wald. Das Zeichen, welches Großvater David in den Boden geritzt hatte, und während sie es sich vorstellte, begann das Rad zu glimmen, wobei ein grelles Licht aus der Mitte entsprang. Die Mitte, der Sitz aller Kraft, die Seele Whispers.
Urplötzlich löste sich die Frau von ihr und nahm Jasmins Kopf in ihre Hände, sodass sie dem Mädchen geradewegs ins Gesicht blickten konnte.
„Jasmin!“ Ihre Stimme wurde plötzlich steinhart und bestimmt, auch wenn die Tränen das Make Up etwas verwischt hatten. „Hör zu. Ich werde nicht nur mit Manuel reden, sondern ich werde ihm sagen, dass wir allein nach München zurückfliegen werden. Und wenn ich eigenhändig dein Ticket verbrennen muss. Es hängt sehr viel dran. Sorgerechtsmäßig und, und, und. Aber wenn ich eines gelernt habe, dass es dort einen Weg gibt, wo ein Wille ist. Ihr, du, habt mir das eindrucksvoll bewiesen. Ich habe gesehen, wo du hingehörst, und es wäre egoistisch, sich in den Vordergrund zu stellen und zu glauben, dass wir allein entscheiden, was für dich gut ist. Du weißt, was für dich am Besten ist, deine Freunde wissen das, und die Familie Kinsky scheint das ebenso zu wissen, genauso wie die Indianer, so suspekt mir diese Menschen auch sind, aber sie genießen deine Zuneigung und dein Vertrauen, und ich müsste blind sein, das nicht zu sehen. Und dieser Tom hier …“ Sie blickte kurz auf das schwarze Pferd. „Wir haben einmal den schwerwiegenden Fehler gemacht, dir dein Pferd wegzunehmen. Ein zweites Mal will ich das nicht mehr machen. Tom gehört zu dir. Wir könnten ihn nie mitnehmen, also bleibst du eben bei ihm.“
Den Blick, den das Mädchen und die Frau austauschten, hatte einen unbeschreiblichen Glanz. Sekundenlang starrten sie sich an, während Johanna Jasmins Kopf hielt und sie daran hinderte, sich wegzudrehen. Deswegen sah sie auch die stillen Tränen, die über das Gesicht des Mädchens liefen. Zart fing sie sie mit dem Daumen auf, berührte die Narben in ihrem Gesicht und stellte sich vor, was für ein Mensch es gewesen sein musste, der ihr das angetan hatte. Zu was waren Menschen fähig? Was konnte ein Vater seinem eigenen Kind noch antun?
„Ich liebe dich, Jasmin“, hauchte die Frau, und es war unschwer zu erkennen, wie sehr sie mit sich selbst kämpfte, „und ich will dir nicht mehr wehtun.“ Sanft küsste sie das Mädchen auf die Stirn, holte sie wieder zu sich heran, umarmte sie und strich ihr über den Rücken. Dabei erhaschte sie Toms Blick, der ihr den Kopf zuwandte und sie anzustarren schien. Er hatte einen eigenen Glanz in den Augen. Einen Schimmer, der kaum zu deuten war. Und noch ehe Johanna sich fragen konnte, was der Schimmer zu bedeuten hatte, hörte sie plötzlich eine fremde Stimme in ihrem Kopf, die dafür sorgte, dass eine Gänsehaut über ihren Körper jagte.
„ Ihr habt meinen Körper getötet, aber nicht meine Seele. Die Liebe hat dafür gesorgt, dass diese nicht vergeht. Sie ist es, die uns beide verbindet, und Jasmin hat nie aufgehört, an sie zu glauben. Kommt diese Macht aus ganzem Herzen, aus
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