Whisper (German Edition)
hatten ihm seine Geschwister davon abgeraten, den barmherzigen Bruder zu spielen. Es würde nicht zu ihm passen. Wenn er schon keine eigenen Kinder haben konnte, so sollte er sich eben eines adoptieren, was er auch gemacht hätte, wenn seine Frau nicht dagegen gewesen wäre. Warum sie bei Jasmin ja gesagt hatte, wusste er nicht, und er wollte es auch nicht hinterfragen. Er fühlte sich, als hätte er bei einem großen Spiel nicht nur seinen Einsatz, sondern weit mehr verloren. Vielleicht war es wirklich nur ein dummes Spiel gewesen, zu glauben, er könnte jemandem wie Jasmin ein guter Vater sein.
Kino sorgte dafür, dass Jasmin der Diskussion der Erwachsenen nicht mehr ausgeliefert werden konnte, indem er sie ins Auto packte und auf die Singing Bird Ranch brachte. So war es unmöglich, auf sie zuzugreifen. Kino ahnte, dass ihr die Situation hart zusetzte. Er spürte ihre Angst, dass sich nochmals alles verändern würde und diese Angst war nicht ganz unbegründet. Er hatte in den Augen ihres Pflegevaters gelesen, auch in jenen ihrer Mutter. Johannas Augen hatten ihm verraten, dass sie der Entschluss auf eine gewisse Weise glücklich stimmte. Sie empfand Wehmut, Schmerz und trotzdem hatte sie nachgegeben, vermutlich aus einer Intuition heraus.
Manuel Devot war da anders. Er fühlte sich untergraben und hintergangen und hatte vielleicht vor, doch nicht so schnell aufzugeben, auch wenn er gegen die Übermacht an Menschen, die hinter Jasmin standen, kaum eine Chance haben würde. Er war der Vater, er hatte das Recht über Jasmin zu bestimmen, und das stimmte auch Kino etwas unsicher. Der Druck würde erst von ihm fallen, wenn die beiden Devots Six Soul ohne Jasmin verlassen, besser noch, wenn sie Kanada verlassen hatten. Dann konnte er durchatmen und sicher sein.
Jasmin selbst suchte Kinos Nähe und ließ sich von ihm bereitwillig in den Arm nehmen. Gemeinsam hatten sie sich auf der Couch im Wohnbereich der Ranch zusammengerollt, unterhielten sich nur kurz über Belangloses, bevor Jasmin einschlief. Kino war noch wach und ließ seinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Ihre Züge waren ihm so vertraut geworden. Die Narben, die ihr Antlitz so sehr verunstalteten, gehörten zu ihr, wie bei anderen Menschen eine schiefe Nase. Ihre Konturen waren so fein gemeißelt, die Augenbrauen dunkel und schmal, ihre Wimpern überlang, sie besaß eine bezaubernde Stupsnase und ihre Lippen hatte er schon mit den seinen berührt. Sie war sein Mädchen, das Wesen, welches ihn in seinem Leben begleiten sollte, für die er da sein, und die er schützen wollte, und auf die er sich freute, wenn sie ihn einmal nicht begleiten konnte und zuhause blieb. Sein Herz schlug mächtig für sie, seine Gefühle waren nicht zu beschreiben und wehe dem, der versuchte, ihr wehzutun. Gnade dem, wenn jemand sie berührte. Sie zu verlieren wäre für ihn … nein, er wollte es sich gar nicht vorstellen. Er wäre fähig Amok zu laufen, die Welt dazu zu bewegen, unterzugehen, alles, einfach alles würde er in Bewegung setzen, damit sie bei ihm blieb.
Sanft strich er über ihre Stirn. Ein feines Lächeln legte sich über sein Gesicht. Sie war da, ganz nah bei ihm. Er konnte ihre Atmung hören, ihren Herzschlag spüren und bemerkte auch, wenn sie dann und wann im Schlaf zusammenzuckte. Seit er sie kannte, wusste er, was es hieß, von ganzem Herzen zu lieben.
Irgendwann am frühen Morgen klingelte das Telefon. Kino nahm das Gespräch entgegen. Es war sein Vater, der ihn bat, mit Jasmin sofort nach Six Soul zu kommen. Auf die Frage, ob es ein Problem gäbe, antwortete sein Vater nur, es käme darauf an, ob man ein Problem daraus machen würde.
Zweideutige Antworten, das konnte Kino jetzt unbedingt gebrauchen. Noch während er auflegte, atmete er tief durch. Was war passiert? Musste er sich Sorgen machen? Was sollte er Jasmin sagen? Sein Blick wanderte zu dem noch immer schlafenden Körper. Normalerweise war sie es, die den leichten Schlaf hatte und sofort hochschreckte, wenn ein Geräusch an ihr Ohr drang. Dabei war ihr Erwachen nicht selten von Panik begleitet. Doch diesmal war sie nicht wach geworden, hatte sich nur leicht bewegt und schwach gemurmelt. Kino hätte sie so gern schlafen lassen. Es war so friedlich, wenn sie zusammengerollt in den Decken lag und sanft atmete. Sie war beim Schlafen noch nie laut oder gar heftig gewesen. Jasmin schlief wie ein Toter, bewegte sich kaum, nur ab und an entfuhr ihr ein sanftes Jammern, beim Hund würde man
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