Whisper (German Edition)
tat, und sie hatte auch jenen Blick gesehen, den sie dem jungen Mann mit Namen Kino geschenkt hatte. Sie war vielleicht eine feine Dame aus der Stadt, an der Seite eines gut situierten mitten im Berufsleben stehenden Mannes, aber sie hatte Augen im Kopf, und diese Dinge konnte sie deuten, auch ohne Studium und ohne Arzt. Jasmin lebte hier draußen, sie existierte nicht nur.
„Du magst ihn, nicht?“ Es war für die Frau schwer die richtige Gesprächsbasis zu finden, hoffte, dass es nicht daneben ging. Als keine Antwort kam, versuchte sie es einfach weiter. Sie hatten Fehler gemacht. Es musste gesprochen werden.
„Er ist ein schönes Pferd. Ich habe nicht gewusst, dass Pferde so schön sein können.“
Als ob Tom sie verstanden hätte, wandte er seinen Kopf, reckte seinen Hals und berührte die Frau, die im Eingang lehnte, leicht mit den Lippen. Johanna ließ sich sogar dazu hinreißen, ihn sanft mit den Fingerspitzen am Kopf zu streicheln.
„Und er fühlt sich weich an. Ich glaube, ich habe noch nie ein Pferd gestreichelt. Vielleicht als Kind auf einem Jahrmarkt, aber sonst sind mir diese Tiere fremd.“
Jasmin strich fortwährend mit den Händen über Toms Körper und Johanna hatte keine Ahnung, was das Mädchen dabei dachte und fühlte. Sie sprach nicht, antwortete nicht, stand nur dicht bei dem Pferd, welches sie fortwährend berührte.
„Er ist schwarz wie … wie …“
„Wie Whisper!“
Johanna musste schluckten. Diesen Vergleich hatte sie nicht wählen wollen.
„Ich …“ Sie atmete tief durch, wohlwissend, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. „Ich habe Whisper nicht gekannt.“
„Ihr habt sie mir weggenommen!“ Es waren wohl die härtesten, schwersten und kältesten Worte, die im Leben gesagt worden waren. Worte, hart wie Beton und dennoch so unentbehrlich und wichtig.
Johanna biss sich auf die Zunge. Es trafen sie nicht nur die Worte, sondern auch der Ton. Er hatte eine bestimmte Bedeutung. Schmerz und Trauer begleiteten diese Aussage und erst jetzt wurde Johanna wirklich bewusst, was sie angerichtet hatten, als sie das Pferd faktisch ´entsorgt` hatten.
„Es war der schwerste Fehler, den wir je gemacht haben.“ Entgegnete sie leise, ohne über die Worte nachzudenken. Sie schwabbten einfach vorne raus. Jasmin sah auf.
„Ihr habt sie getötet!“
Johanna senkte den Kopf. Nichts war schlimmer, als diesen Schmerz in den Augen des Mädchens zu sehen. Was hatten sie nur angerichtet!
„Es tut mir leid“, bemerkte sie leise. „Wir dachten …“
„Ich habe in München keine Freunde mehr. Whispers Seele lebt in diesen Wäldern. Ich kann sie spüren, sie fühlen und sie hören. Sie ist hier so präsent, als würde sie leben. Ab morgen wird sie für mich ein weiteres Mal gestorben sein. Kino, Jaro, die Kinskys, David, ich muss alles zurücklassen. Sie bedeuten mir etwas, sehr viel sogar. Die Pferde, die Wildnis, die Tiere in den Wäldern, den Bären, den ich hin und wieder sehe, die Raben die mich begleiten, Großvater David, der immer weiß, was ich denke, Jaro, der nie müde wird, mir etwas zu erklären und Kino …“ Jasmins Stimme versagte. Sie wollte nicht wieder weinen, nicht schluchzen, nicht herumheulen, aber es ließ sich nicht vermeiden. Allein der Gedanke daran, alles zurücklassen zu müssen, von dem sie jetzt gesprochen hatte, zerriss ihr Inneres in tausend Fetzen. Dabei kippte sie an Toms Körper und umarmte seinen Hals, suchte Trost und Halt bei einem Pferd.
Johanna kämpfte selbst mit den Tränen. Ihre Angst und Vorsicht beiseite schiebend, betrat sie die Box, zögerlich, mit Respekt, betrachtete Tom, der ihr entgegen blickte, aber dann seinen mächtigen Kopf Richtung Jasmin wandte und sie sanft mit den Lippen berührte. Es war als würde Johanna verstehen. Tom zeigte ihr, dass sie keine Angst zu haben brauchte. Sie sollte tun, was immer sie zu tun gedachte.
Johanna trat von hinten an Jasmin heran und legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. Ihr Griff intensivierte sich leicht, und sie begann über Jasmins Schulter zu streichen und zu reiben.
„Ich will dir nichts mehr wegnehmen, Jasmin!“ Ihre Stimme klang heiser, rauchig, die Worte wogen Tonnen. „Du hast mir monatelang so leidgetan, und ich hatte keine Ahnung, wie ich dir helfen sollte. Ich kam an dich nicht heran, dachte, studierte Menschen, Ärzte, könnten dir helfen, aber auch das war ein Fehler. Hier habe ich gesehen, was du liebst, wie es dir geht, habe Zuneigung und Vertrauen gesehen, das ich
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