Whisper (German Edition)
winseln sagen, was wiederum er sofort hörte. Er brauchte sie nur sanft zu streicheln, Haarsträhnen aus dem Gesicht schieben oder ihr einen klitzekleinen Kuss auf die Wange drücken. Dann hörte dieses Jammern sofort auf.
Kino atmete nochmal tief durch. Gerade jetzt in diesem Moment wurde ihm bewusst, wie genau er Jasmin bereits kannte. Wer wusste noch von ihrem kleinen Knötchen am linken Oberarm, unweit von ihrem Ellbogen entfernt, direkt unter der Haut. Vermutlich nur ein harmloses Talgknötchen, aber es war da und er wusste es. Und wer wusste, dass der kleine Finger ihrer rechten Hand hin und wieder zuckte. Jasmin hatte es ihm irgendwann im Wald gezeigt, und sie hatten herzlich darüber gelacht. Nur er kannte diese Dinge, denn er bezweifelte stark, dass den Devots sowas bekannt war. Wenn denen eingefallen sein sollte, Jasmin doch noch mitzunehmen … Kino wusste schon jetzt, dass er jede Beherrschung verlieren würde. Doch noch wusste er nicht, warum er nach Six Soul kommen sollte, und um das herauszufinden, musste er sich wohl mit Jasmin ins Auto setzen.
Er weckte sie so sanft als möglich, streichelte ihre Hand. Zuerst bewegte sie sich nur langsam, doch aus heiterem Himmel zuckte sie plötzlich zusammen und fuhr mit weit aufgerissenen Augen herum. Kino ergriff sie am Arm, strich ihr sanft über ihre Haare, streichelte ihr Gesicht. Egal, was ihr ihr Unterbewusstsein gerade vorgegaukelt hatte, er war die Realität, nicht ihr Traum.
„Wir müssen nach Six Soul!“, erklärte sie plötzlich und rieb sich über die Augen. Ihre Stimme klang etwas heiser, verschlafen und trotzdem traf sie den Nagel auf den Kopf. Kino sah sie groß an.
„Ja, das stimmt“, bestätigte er und fragte sich im selben Moment, woher sie das wissen konnte. Er hatte telefoniert und sie hatte sein Telefonat nicht mitbekommen.
„Woher …?“, wollte er nachfragen, doch sie gab ihm keine weitere Antwort, als sie unter der Decke hervorrollte und nach ihrer Jeans griff, die unweit von der Couch auf einem Stuhl lag.
„Ich weiß es. Wir sollten nach Six Soul. Jetzt.“
Sie zog sich ihr Shirt über, der Pulli folgte.
Kino behaarte trotzdem auf eine Erklärung. Er ergriff ihren Arm, zwang sie damit ihn anzusehen.
„Jasmin?“, fragte er vorsichtig, wodurch sie veranlasst wurde, inne zu halten. Sie verstand seine Frage auch ohne Worte.
„Ich habe von Whisper geträumt!“, erklärte sie kurz und senkte ihren Blick, atmete durch. Ihr war klar, dass dieser Traum sie weit mehr in Aufruhr versetzte, als notwendig war. „Sie … sie sagte, dass Six Soul mein Leben verändern würde. Deswegen sollten wir sofort aufbrechen.“
Kino blickte ihr tief in die Augen, sah den Glanz darin, die Angst, die Unsicherheit, spürte, was in ihr vorgehen musste. Ja, sie hatte eine Zusage. Die Zusage ihrer Pflegemutter. Aber reichte die aus, ihren Vater zu überzeugen? Was hatte sich in der Nacht geändert, was war passiert, oder war alles ruhig verlaufen?
„Jasmin.“ Er griff nach ihren Händen. „Es gibt drei Menschen auf dieser Welt, die mir sehr wichtig sind, die ich nie missen möchte, und die ich mit meinem Leben verteidigen würde. Aber es gibt nur einen, der für mich alles ist. Was auch passiert, ich stehe zu hundert Prozent hinter dir, okay?“
Es war ein stummer Blick, den sie austauschten. Kino sah, wie sie schluckte. Damit zog er sie zu sich und nahm sie in seinen Arm, drückte sie an sich, genoss es, als sie ihren Kopf gegen seine Schulter legte und er spürte, wie sie sich an ihn klammerte. Egal, wie der Weg auch werden würde, sie würden ihn gemeinsam gehen.
Wenig später saßen sie beide im Auto und Kino hatte neben dem Motor auch die Heizung angeworfen. Es war kalt. Der Winter nahte mit Riesenschritten. Das Laub lag über den gesamten Hof verteilt auf dem Boden. Nicht nur der Scheinwerfer des Autos fegte darüber, man konnte das Schmatzen unter den Reifen vernehmen. Es dämmerte bereits am Horizont. Mittlerweile waren die Nächte lang und die Tage entsprechend kürzer. Schon bald würde der erste Schnee fallen und die Blizzards den Winter in das Land tragen. Wie jedes Jahr würden es wieder harte Wochen werden. Doch diesmal verbrachte er sie nicht allein.
Die Straße glänzte, als Kino die Hofzufahrt verließ. Es war in der Nacht feucht gewesen, vielleicht hatte es auch etwas genieselt. Zusammen mit dem Laub war die Fahrbahn rutschig. Kino schaltete den Allradantrieb dazu, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Um diese
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