Whisper (German Edition)

ein zartes Lächeln, das sie ihm schenkte. Kein weiß Gott wie Deutliches, aber es war eins. Und dann übersah er völlig, wie sie ihn umarmte, ihn leicht an sich drückte, ihm einen kleinen Kuss auf die Wange gab und leise „Danke!“ hinterher flüsterte.
    Wie zur Salzsäule erstarrt, blieb Kino stehen. Auch als sich Jasmin längst von ihm gelöst und wieder ins Stroh gesetzt hatte, starrte er sie an, bis er bemerkte, dass seine Starre langsam peinlich wurde. Gierig rang er nach Luft, denn in seiner Überraschung hatte er definitiv zu atmen vergessen. Wie ferngesteuert verließ er den Verschlag, trat aus dem Stall und marschierte einem Geist ähnlich zum Haus hinüber. Noch immer konnte er es nicht fassen. Jasmin hatte „danke“ zu ihm gesagt. Sie hatte tatsächlich mit ihm gesprochen, nur ein einziges Wort, aber es war so derart viel wert. So unbeschreiblich viel. Kino fiel unkontrolliert ins Haus und warf die Tür hinter sich zu. Für einen Moment blieb er stehen, sah irritiert um sich, ohne ein wirklich klares Bild vor seine Augen zu bekommen. Sein Verstand sog jede Art von Energie aus seinem Gehirn, um sie dort zu bündeln, wo es gerade wichtig war. Jasmin hatte zu ihm gesprochen.
    Kino steuerte weiter, Richtung Telefon. Dass sein Großvater ihn von seinem Schaukelstuhl aus beobachtete, war ihm nicht bewusst. Überhaupt hätte eine Rakete neben ihm hochgehen können. Kino hätte es nicht bemerkt.
    „Hast du ein Gespenst gesehen?“, fragte ihn der alte Mann, der seinen Blick von dem Buch, in dem er gelesen hatte, abwandte, und seinem Enkel entgegen sah, der kaum auf ihn reagierte.
    Kino schaffte es nur mühsam, sich zu kontrollieren. Er bekam aus einer ganz entfernten Ecke mit, dass sein Großvater mit ihm sprach.
    „Ja, äääh“, er schüttelte den Kopf, verdammt nochmal, noch nie in seinem Leben hatte die Verwirrung so sehr von im Besitz ergriffen, „ich meine, nein …“ Kino schloss die Augen und atmete tief durch. Er konzentrierte sich kurz auf sein Inneres, schlichtete, machte Ordnung, bevor er die Augen wieder öffnete und jetzt seinen Großvater klar und deutlich vor sich sehen konnte.
    „Sie hat mit mir gesprochen“, sagte er fest und ihm wurde klar, dass es nur sein Großvater war, der ihm im Moment glauben würde.
    „Das Mädchen?“, fragte der Mann und lehnte sich etwas zurück. Es kam kein, warum ist sie hier, wo hast du sie gefunden, was macht sie hier … Sein Großvater schien alles zu wissen. Wie er gern damit überraschte, Dinge zu wissen, die er normalerweise gar nicht wissen konnte.
    „Ja“, antwortete Kino, trat auf einen der Hocker zu, die an einem barähnlichen Tisch standen, setzte sich darauf, stützte den Ellbogen ab und legte seinen Kopf in die Hände.
    „Und das verwirrt dich?“
    Die Stimme seines Großvaters war ruhig, konnte tief eindringen. Menschen, die das nicht kannten, erschraken vor ihm. Er konnte es beruhigt zulassen. Sein Großvater war in der Lage im Inneren eines Menschen zu lesen, entdeckte verborgene Dinge und konnte helfen, den Weg zu finden, den man selbst vielleicht nicht so deutlich vor Augen hatte.
    „Du magst sie?“
    Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, nur sein Großvater verpackte es als Frage.
    „Ich will ihr helfen. Irgendwie. Ihr Gesicht, die Hände, sie muss Furchtbares durchgemacht haben.“
    „Das Ergebnis reiner Gewalt!“
    Diesmal war es eine konkrete Feststellung. Kino sah auf. Niemand wusste genau, was Jasmin wirklich passiert war. Man ging von einem Unfall aus. Das war es, was erzählt worden war. Sie versteckte sich, sie sprach nicht, sie hatte Angst, berechtigte Angst, angewidert stehengelassen und gedemütigt zu werden. Wusste sein Großvater mehr von ihr?
    „Gewalt? Du meinst, jemand hat ihr das angetan?“
    Sein Großvater wandte ihm seinen Blick zu.
    „Sie wird ihre Geschichte erzählen, wenn sie befindet, dass sie jemand wissen soll. Achte auf die Wesen. Die Raben führen sie, der Grizzly wird sie schützen. Es gibt eine Verbindung zwischen ihr und einem Tier. Eine feste Verbindung, genährt durch tiefe Liebe. Finde dieses Wesen und du kannst die tiefen Wunden ihrer Seele heilen. Great Spirit ist wachsam. Er wird dir helfen.“
    Kino starrte wieder auf die Tischplatte. Wenn sein Großvater in dieser Form mit ihm sprach, war es gut, genau zuzuhören und Eingebungen Folge zu leisten. Er erinnerte sich, was er gestern gespürt hatte, als Jasmin verzweifelt neben Tom gestanden hatte, nicht wissend, was sie tun