Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Baseballkappe, Arbeitsstiefel und eine schwere Jacke erkennen.
Eine freundliche Frauenstimme fragte sie: »Stimmt was mit deinem Fahrrad nicht? Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?«
Natürlich, dachte Becca niedergeschlagen, das ist gar nicht Carol Quinn.
Sie versuchte, ein Flüstern zu erhaschen. Obwohl da diese Frau und Becca waren, war nicht das geringste Flüstern zu hören.
Becca war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte. Die Tatsache, dass von dieser Frau kein einziger Gedanke zur ihr drang, verriet ihr, dass sie völlig anders war als alle Leute, mit denen Becca je zu tun gehabt hatte. Während Laurel behauptet hätte, eben das sei der Grund, warum Becca sie meiden sollte wie der Teufel das Weihwasser, hätte Beccas Großmutter sie zur Seite genommen und ihr zugeraunt: »Sowohl Abwesenheit als auch Anwesenheit von etwas bestimmen die Eigenart eines Menschen, Liebes.«
Becca zeigte daher auf ihr Fahrrad und antwortete: »Die Kette ist abgesprungen.«
Das war natürlich eine Lüge, wenn auch nur eine kleine, denn es hatte sich zumindest so angefühlt, als würde die Kette jeden Augenblick abspringen. »Ich bin auf dem Weg zur Blue Lady Lane«, fügte sie hinzu.
Die Frau sagte: »Dann ist das dein Glückstag. Ich fahre nach Clyde«, als wüsste Becca genau, was das hieß. Die Frau marschierte hinüber und erklärte: »Das Fahrrad legen wir hinten rein.«
Dann hob sie es an, als würde es mit seinen vollgepackten Satteltaschen gar nichts wiegen. Sie trug es zu ihrem Fahrzeug und hievte es über die Seite auf die Ladefläche. Zu den Hunden sagte sie: »Weg da, Jungs«, und zu Becca: »Spring vorne rein. Oscar macht dir Platz. Ich verstaue das hier nur richtig.«
Wie sich herausstellte, war Oscar ein gewöhnlicher Pudel, ohne das, was Becca »den pudeligen Etepetete-Haarschnitt« nannte. Er war schwarz und mit dem normalen Gurt angeschnallt. Da sich Becca nicht ganz sicher war, ob sie den Hund abschnallen sollte, wartete sie, bis die Frau die Tür öffnete und einstieg. »Worauf wartest du?«, fragte sie und fing an zu lachen, als ihr auffiel, dass der Gurt das Problem war. Sie sagte: »Entschuldige. Lass mich das machen. Komm hier rüber, Oscar.« Sobald sie den Hund losgeschnallt hatte, zog sie den Pudel auf ihre Seite und sagte dann zu Becca: »Diana Kinsale. Dich kenn ich gar nicht, und ich dachte, ich würde jeden auf der Südseite der Insel kennen.«
»Becca King«, erwiderte Becca. Den Rest dachte sie sich: Rebecca Dolores King aus San Luis Obispo, Kalifornien, davor Sun Valley, Idaho, wo ich geboren wurde. Ich fahre nicht Ski. Auch wenn man es eigentlich denken würde.
Diana Kinsale bemerkte: »Hübscher Name.« Sie legte den ersten Gang ein.
Becca schaute durchs Fenster nach hinten auf die Ladefläche. Da waren zwei Labradore und zwei Promenadenmischungen. Sie wandte sich an Diana: »Hundepension?«
Diana lachte. Sie nahm ihre Baseballkappe ab, und Becca konnte sehen, dass ihr Haar grau war. Becca fand das ziemlich merkwürdig. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Frau mit grauen Haaren gesehen zu haben, denn da, wo sie herkam, färbten sich Frauen die Haare, sobald sie die erste graue Strähne entdeckten. Aber Diana Kinsale verkörperte reine Natürlichkeit. Sie trug kein Make-up, und ihr Haar war nicht einmal richtig frisiert.
»Die gehören alle mir«, erwiderte Diana Kinsale und wies auf die Hunde. »Ich hatte nicht vor, mir gleich fünf Hunde anzuschaffen, aber eins führt immer gleich zum anderen und jetzt hab ich den Salat. Und du?«
»Ich habe keinen Hund«, sagte Becca. Sie fügte rasch hinzu: »Ich mag Hunde sehr, aber meine Mom ist allergisch.«
»Ah. Alles klar.« Wer ist sie?
Becca spürte einen Druck im Kopf. Wer ist sie?, war natürlich eine logische Frage. Wer ist deine Mom, diese Frau, die allergisch gegen Hunde ist? Und weiß sie überhaupt, dass du in der einbrechenden Dunkelheit und im dichten Nebel allein mit dem Fahrrad unterwegs bist? Aber diese Fragen blieben unausgesprochen. Selbst in ihren Gedanken.
Becca schaute Diana Kinsale verstohlen an. Diana Kinsale warf Becca einen Blick zu und sagte nichts. Sie drückte auf einen Knopf am Radio, und die Dixie Chicks plärrten in einer Lautstärke los, die ein entspanntes Gespräch unmöglich machte.
Es dauerte nicht lange, bis sie in der Clyde Street ankamen. Drei Dixie-Chicks-Songs später fuhr Diana in die Auffahrt eines grauen, schindelgedeckten Hauses, von dem aus man das Wasser überblickte, bei
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