Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Saratoga Woods?«
»Nicht unbedingt, aber …«
»Was ich sagen will, ist: Könnten die Kiffer auf dem Meadow-Rundwanderweg gewesen sein? Wo Derric gestürzt ist? Könnte Derric sich mit einem von ihnen dort oben getroffen haben?«
»Dylan, meinst du?« Seth rieb sich den Nacken. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber Derric ist kein Kiffer, soweit ich weiß. Manche Sportler nehmen Drogen, aber nicht mal die hängen mit den Kiffern ab.«
»Kaufen sie Drogen von ihnen?« Becca gefiel dieser Gedanke überhaupt nicht. Es erschien ihr unmöglich. Aber Derric hatte an diesem Tag irgendetwas im Wald gemacht, und das war eine der Möglichkeiten, die sie in Betracht ziehen mussten.
»Du meinst, er könnte von Dylan Drogen gekauft haben? Ihm vielleicht sogar Geld schulden?« Seth dachte darüber nach und atmete geräuschvoll aus. »Möglich ist es. Aber wenn das der Fall ist, hat er allen ganz schön was vorgemacht. Ich weiß nicht, Becca. Es fällt mir schwer, das zu glauben, und ich mag den Kerl nicht mal.«
»Warst du auf dem Weg, Seth? Kannst du dich erinnern?«
»Auf dem Rundwanderweg? Wer weiß? Ich war an dem Tag überall im Wald. Und du auch. Du hast auch nach Gus gesucht. Weißt du noch, wo du überall warst? Ich nicht. Warum sollte ich? Warum sollte sowas irgendjemand wissen? Ich meine, Gott und die Welt waren an dem Tag im Wald. Ich hatte wenigstens einen Grund, dort zu sein, aber niemand …«
Becca hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass seine Worte und sein Flüstern zum ersten Mal so stark übereinstimmten, dass sie verschmolzen. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Macht des Flüsterns jetzt ein wenig besser verstand. Wenn Worte und Flüstern völlig übereinstimmten, kam sie der Wahrheit der Menschen näher.
Aber während der vielen Stunden, die Becca in Jeff Corries Büro verbracht hatte, wenn sie eigentlich beim Training des Mädchen-Fußballteams hätte sein sollen, hatte sie etwas Wichtiges gelernt: Manchmal war das, was die Leute als die Wahrheit betrachteten, nur das, was sie dafür hielten.
In Wirklichkeit war die eigentliche Wahrheit da draußen in der Welt, und sie würde sie finden. Denn das war die einzige Möglichkeit, Seth zu helfen und ihn von der Last der Verdächtigungen zu befreien.
K APITEL 36
Als der Sheriff auftauchte, saß Hayley im Geschichtsunter- richt, ihrem Lieblingsfach, und lauschte ihren Mitschülern, die darüber debattierten, welche moralischen und ethischen Fragen die Einnahme der Gebiete einheimischer Völker aufwarfen.
Die Lehrerin Ms Stephany trat kurz aus dem Unterrichtsraum. Als sie zurückkam, blickte sie ernst. »Hayley, man verlangt nach dir … Am besten nimmst du deine Sachen gleich mit.«
Bei ihrem Tonfall schossen Hayley tausend Möglichkeiten durch den Kopf, die alle mit ihrem Vater zu tun hatten. Sie nahm ihren Rucksack. Vor dem Unterrichtsraum wartete Sheriff Mathieson auf sie.
Er sah genauso ernst aus wie Ms Stephany. Als Hayley die Klassenzimmertür schloss, sagte er: »Du und ich müssen miteinander reden.«
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Hayley, obwohl sie die Antwort auf ihre Frage eigentlich lieber nicht hören wollte.
»Es wird langsam Zeit, dass du mir die Wahrheit über die Saratoga Woods sagst, Hayley. Du hast mir nicht die ganze Geschichte erzählt. Die will ich jetzt hören.«
Hayley sank gegen die Wand. Sie fühlte sich so unglaublich erleichtert, dass es nicht um ihren Dad ging, dass sie dachte, sie würde gleich hier vor dem Sheriff zerschmelzen. Da wurde ihr bewusst, wie ängstlich sie gewesen war, wie lange sie diese Angst schon mit sich herumgetragen hatte und dass sie alle Angst hatten, ihrem Vater könnte etwas zustoßen, weil sein Körper ihm nicht mehr richtig gehorchte.
Sheriff Mathieson packte Hayley am Arm, führte sie vom Klassenzimmer weg, den Gang hinunter, und sagte: » Sehr gut. Wie du siehst, hat es keinen Sinn, mich anzulügen.«
Sehr gut? Hayley runzelte die Stirn. Aber dann verstand sie es. Er interpretierte die Tatsache, dass sie gegen die Wand gesackt war, nicht als Erleichterung darüber, dass mit ihrem Dad alles in Ordnung war, sondern als Schuldeingeständnis. Sie wusste nicht, was sie seiner Meinung nach verbrochen haben sollte, aber die Art, wie er sie jetzt ansah, zeigte ihr einen ganz anderen Mann als den, den sie bisher gekannt hatte. Bis jetzt war er einfach Derrics Dad gewesen, dieser tolle Kerl, der Dinge gemacht hatte, wie sie nach Seattle zu einer
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