Whisper Island (01) - Sturmwarnung
sagte Debbie. »Aber auch Alkohol. Vor allem Alkohol. Ich weiß, wie junge Leute sind und dass es oft schwer ist, Nein zu sagen. Aber du musst es mir versprechen, sonst kannst du die Sache vergessen. Dasselbe gilt, wenn du mich anlügst. Ganz gleich, worum es geht. Und ich merke das sofort, glaub mir.«
»Versprochen«, sagte Becca. »Kein Alkohol, keine Drogen, keine Jungs und keine Lügen.«
Dann sprach sie ein Thema an, das ein wenig heikel war. Vor allem in Anbetracht dessen, was Debbie gerade über das Lügen gesagt hatte. »Ich muss zur Schule gehen. Mom hat gesagt, sie meldet mich an, wenn sie zurückkommt, aber es ist mein erstes Jahr und die ersten Wochen habe ich schon verpasst. Und wenn Mom nicht bald kommt, hinke ich schnell hoffnungslos hinterher.« Das war zwar nur zu drei Vierteln wahr und zu einem Viertel Lüge, aber Becca wollte herausfinden, ob Debbie wirklich merkte, wenn jemand log.
Debbie sah sie lange und durchdringend an, und Becca hörte sie flüstern: Reese … versuch zu finden … lieber süßer Schatz … Doch dann erstarb das Flüstern, wie es oft geschah, wenn ein Gedanke zu schmerzlich war. Doch eine kleine, spitze Nadel löste sich daraus und landete nahe Beccas Herzen. Und als sie vor Schmerz zusammenzuckte, traf Debbie ihre Entscheidung.
»Ich melde dich an. Kein Problem. Hast du irgendwas dabei? Papiere oder Unterlagen?«
»Die Unterlagen von meiner letzten Schule, mehr nicht. Sonst habe ich nichts. Geburtsurkunde oder Passfotos oder so.«
»Das reicht«, bemerkte Debbie. »Die Schule wird kein Problem.«
Ihre Stimme klang plötzlich sehr streng, viel strenger als kurz zuvor, als sie über das Lügen gesprochen hatte. Sie war hart wie ein Fels, glatt und starr wie Marmor. Deshalb fragte Becca: »Warum nicht?«, ohne sich etwas dabei zu denken.
Debbie lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln. In diesem Lächeln spiegelte sich die Aussicht auf Vergeltung wider. »Warum es kein Problem wird? Weil vor ein paar Jahren die Sekretärin der Highschool meine Tochter getötet hat.«
Debbie äußerte sich nicht weiter zu dem Thema, und als sie Becca in Zimmer 444 allein ließ, war diese viel zu froh, endlich baden zu können, um noch länger darüber nachzudenken. Sie genoss das Bad, und sich danach in der Dusche die Haare zu waschen, war die reinste Wonne. Als sie fertig war, wischte sie den beschlagenen Spiegel ab und dachte an Laurels Anweisungen.
»Make-up. Massenweise Make-up, Schatz. Vor allem um die Augen. Es geht nicht darum, dass du gut aussiehst, so leid es mir tut. Es geht darum, dass Jeff Corrie dich nicht erkennt, selbst wenn du ihm irgendwo eine Tasse Kaffee servieren würdest.«
Alles in Becca sträubte sich dagegen. Welches Mädchen in ihrem Alter machte sich schon freiwillig hässlich? Aber schließlich war sie nicht hier, um ihren Traumprinzen zu finden. Also fing sie widerwillig an, ihr Gothic-meets-Rinnstein-Make-up aufzulegen. Wenigstens roch sie jetzt nicht mehr schlecht.
Sie war gerade fertig, da hörte sie draußen vor ihrem Badezimmerfenster einen kleinen Jungen rufen: »Das gilt nicht! Der war viel zu fest getreten!« Und ein anderer Junge mit tieferer Stimme antwortete lachend: »Alter, wenn du nicht mal den schnappst, hast du aber echt ein Problem.«
Das war sicher Debbies Enkel Josh, der mit seinem neuen Freund auf dem leeren Grundstück nebenan Fußball spielte. Sie hob den Badezimmervorhang an, um nachzuschauen. Als sie die beiden draußen sah, verschlug es ihr den Atem. Das kann kein Zufall sein, dachte sie. Denn Joshs älterer Freund war der Junge von der Fähre und im Wagen des Sheriffs vor Carol Quinns Haus.
Rasch ließ sie den Vorhang wieder fallen. In dem Augenblick klopfte es an die Tür.
»Becca?«, rief Debbie Grieder. »Bist du da? Komm raus, Chloe möchte dich begrüßen.«
Becca hatte keine Wahl. Schließlich gehörte das zur Abmachung. Sie hoffte bloß, dass sie dem dunkelhäutigen Jungen nicht über den Weg laufen würde, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum es ihr widerstrebte, in seiner Gegenwart zu sein.
Draußen wartete Debbie mit einem kleinen Mädchen, das ihre Hand hielt. Das Mädchen hatte riesige Augen, die die Farbe von Kornblumen hatten. Sie trug einen Overall und pinkfarbene Gummistiefel, die farblich zu ihrem Hello-Kitty-T-Shirt passten.
»Das ist Chloe«, präsentierte Debbie ihre Enkelin. »Und das ist unsere neue Freundin Becca, Chloe.«
Chloe stand mit offenem Mund da und Becca konnte es ihr nicht
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