Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Aber er war ein netter Kerl, und deshalb fügte sie hinzu: »Na ja, eigentlich wollte ich mich heute mit ein paar Leuten von der Schule am Goss Lake treffen, aber ich kann nicht hin.«
Sein Gesicht hellte sich auf. »Leute von der Schule? Warum kannst du nicht hin?«
»Debbie meinte, dass ich es wahrscheinlich nicht bis dahin schaffen würde. Auf dem Fahrrad, weißt du?« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung ihres Rads, das diesmal neben dem Müllcontainer stand.
Seth sagte: »Oh ja. Um bis zum See hinauszufahren, brauchst du auf jeden Fall ein besseres Fahrrad.«
»Das stimmt wahrscheinlich. Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass Debbie sich zu viele Sorgen macht und vielleicht deshalb nicht wollte, dass ich hingehe.«
Seth erwiderte: »Das liegt vermutlich an der Sache mit ihrer Tochter. So ist Reese gestorben. Auf ihrem Rad.«
»Oh.« Becca hatte das nicht gewusst. Nur, dass Ms Ward, die Schulsekretärin, an ihrem Tod schuld war.
Sie hätte gern mehr darüber erfahren, aber Seth meinte, er sei nur kurz in den Laden gekommen, um seinen Gehaltsscheck abzuholen, und sagte: »Sammy und ich können dich zum Goss Lake fahren, wenn du magst.«
»Wer ist Sammy?«, fragte sie. Seth schenkte ihr ein breites Grinsen.
»Komm, ich stell ihn dir vor«, erwiderte er.
Wie sich herausstellte, war Sammy Seths Auto. Es war ein alter VW Käfer, Baujahr 1965. Das Auto war ganz neu hergerichtet und so glänzend lackiert, dass sich Beccas Gesicht darin spiegelte.
Bevor sie den Star-Store- Parkplatz verließen, zeigte Seth neben der Tür auf ein Gebäude, das wie ein kleines Landhaus aussah, senffarben gestrichen war und einen kleinen Vorgarten hatte. Das, erklärte er ihr, war das Gemeindezentrum. »Wenn du mal andere Leute als die von der Highschool treffen willst, solltest du hierherkommen. Nach der Schule und am Wochenende. Ich spiele dort manchmal Schach. Und Gitarre mit meinem Trio. Es ist ein guter Treffpunkt.«
Sie zuckelten die Second Street hoch, während Seth Becca erklärte, dass es verschiedene Routen zum Goss Lake gab. Debbie habe aber mehr oder weniger recht gehabt, was die Fahrt dorthin betraf. Ganz gleich, welche Strecke man nahm, es ging ständig steil bergauf.
Seths Weg führte direkt bis ans Ende der Second Street und auf eine Straße namens Saratoga Road. Diese führte immer wieder durch Wälder und an Wiesen und Sumpfgebieten vorbei und schlängelte sich hoch oben an der Passage zwischen Whidbey und Camano Island entlang.
Als sie Goss Lake erreichten, konnte Becca durch die Bäume nur einen schmalen Teil des Sees ausmachen. Er lag offenbar völlig windgeschützt in einer Senke verborgen.
Überall waren junge Leute. Die meisten flitzten auf der Straße, die um den See herumführte, in dieselbe Richtung. Andere standen mit Stoppuhren am Straßenrand und brüllten den Radfahrern ihre Zeiten zu. Becca sagte zu Seth: »Wow. Es soll irgendeine Art Zeitfahren sein. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute daran teilnehmen.«
Seth beobachtete die Radfahrer einen Moment lang und ließ die Hände auf dem Steuer ruhen, während er Sammy vor dem Stoppschild am Rande der Strecke, der die Radfahrer folgten, im Leerlauf ließ. »Sie bereiten sich wahrscheinlich auf ein Wettrennen vor und drehen Runden um den See«, erklärte er. »Vermutlich eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Auf der Insel findet ständig irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung für den einen oder anderen guten Zweck statt. Du wirst dich daran gewöhnen.«
Sie beobachteten die Radfahrer noch ein wenig länger und Seth sah sich jeden, der vorbeifuhr, ganz genau an.
»Suchst du jemand Bestimmten?«, fragte Becca.
Er sagte: »Wer? Ich? Nee.« Er wehrte die Idee mit einer Handbewegung ab. »Und du? Mit wem bist du hier verabredet?«
»Mit ein paar Leuten«, erwiderte sie.
»Jetzt weiß ich mehr«, witzelte er.
»Derric Mathieson«, sagte sie.
Auf das, was als Nächstes passierte, war Becca nicht gefasst. Die Stimmung im Wagen sank schlagartig auf den Nullpunkt, so als wäre mit einem Mal alles Leben aus dem alten VW gesaugt worden. In der Leere hörte Becca: Scheißkerl … hat nicht … oh ja, alles klar … als hätte ich wirklich geglaubt …
Becca sah vorsichtig zu Seth hinüber. Seine Augen waren wie erloschen, und ihr wurde unwohl zumute.
Als er endlich etwas sagte, klang es misstrauisch und fast ein wenig ausweichend. »Ich muss dich hier rauslassen. Zu viele Fahrräder auf der Straße. Wahrscheinlich hängen alle beim
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