Whisper Island (01) - Sturmwarnung
wartet dort auf mich«, erwiderte Becca.
»Bei der Wasseraufbereitungsanlage ? Wow. Da will wohl jemand auf keinen Fall mit dir gesehen werden.«
Derric sagte freundlich: »Sie ist gleich auf der anderen Seite der Maxwelton Road. Wir können dich hinbringen, wenn du …«
»Nein, können wir nicht«, unterbrach ihn Jenn. » Du hast eine Jazzprobe und ich Sport.«
»Kein Problem«, sagte Becca. »Ich werd’s schon finden. Danke.«
»Holt dich Mrs Grieder ab?«, fragte Derric.
»Ja. Sie hat gesagt …«
» Derric . Komm schon.« Wenn es nach Jenn ginge, hätte Becca überhaupt nicht mit ihm sprechen dürfen.
Aber Derric beachtete sie nicht. »Josh ist sicher mitgekommen«, sagte er zu Becca. »Ich muss ihm Hallo sagen.« Und an Jenn gewandt fügte er hinzu: »Bis später, okay?«
Jenn verzog keine Miene. Aber sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon.
Derric begleitete Becca zum Wagen. Aus der Ferne rief Josh: »Hey, hey, hey!«, als sie näher kamen. Debbie stand neben dem Geländewagen und rauchte eine Zigarette, während sie auf Becca wartete.
Bei Derrics Anblick stieg Josh blitzschnell aus dem Auto. Er brüllte: »Schlag ein!«, und Derric lachte und tat ihm den Gefallen. Dann legte er den Arm um Josh und wuschelte ihm durchs Haar. »Hast du Lust, mitzukommen und dir Jazzmusik anzuhören?«, fragte er.
»Ja!«
Derric sah zu Debbie. »Wir haben eine Bandprobe. Kann er mitkommen? Mom bringt ihn zurück zum Motel, wenn sie mich abholt.«
»Bitte, Grandma«, bettelte Josh. »Ich hab Derric noch nie Saxofon spielen hören.«
Debbie war einverstanden und schenkte ihrem Enkel und dem Jungen aus Uganda ein seltenes Lächeln. »Vielleicht kannst du ihm was beibringen«, sagte sie.
»Wie in der Straßenband!«, rief Josh.
Derric meinte, er würde sehen, was sich machen ließe, während er Josh die Hand an den Hinterkopf legte und scherzhaft zudrückte. Dann zog er einen kleinen, gefalteten Zettel aus seiner Tasche und reichte ihn Becca.
»Wir werden uns wahrscheinlich ziemlich oft bei Debbie sehen, wenn ich mit Josh abhänge, aber hier ist meine Telefonnummer, falls du noch irgendwelche Fragen wegen der Schule hast«, sagte er.
Debbie zog die Augenbrauen hoch, als wollte sie sagen, dass das eine interessante Entwicklung war. Becca steckte den Zettel in ihre Jackentasche, bedankte sich und wandte sich schnell ab, damit niemand sah, wie sie rot wurde.
Sobald sie mit Chloe zwischen ihnen im Geländewagen saßen, fragte Debbie grinsend: »Mal abgesehen davon , wie ist es sonst so gelaufen?«
Becca erwiderte, es sei ganz okay gewesen. Sie erzählte Debbie, dass Derric Mathieson sie den ganzen Tag begleitet habe.
Debbie sagte: »Liebes, wie hast du so schnell das große Los gezogen?«
»Was für’n Los?«, fragte Chloe. »Grandma, was hat sie denn gewonnen?«
»Sie hat den ganzen Tag mit Derric verbracht«, erklärte ihr Debbie.
»Wie Josh, meinst du?«
»Ganz anders als Josh.«
Becca wusste, dass Debbie sich über sie lustig machte, aber das war in Ordnung, weil sie sehen konnte, dass Debbie zur Abwechslung einmal viel unbeschwerter war, so als hätte man ihr eine große Last von den Schultern genommen.
Chloe wollte wissen, ob Becca ihr fester Babysitter werden würde. »Grandma geht zu einer Menge Treffen und lässt uns nicht gerne allein. Manchmal gehen wir mit, aber dann müssen wir im Auto sitzen, und das ist doof . Stimmt’s, Grandma?«
»Manchmal«, erwiderte Debbie. »Das lässt sich nicht ändern.«
»Wohnst du jetzt für immer bei uns?«, fragte Chloe hoffnungsvoll. »Wo ist deine Mom? Wir wohnen bei Grandma, weißt du. Weil unser Dad im Gefängnis ist.«
Da spürte Becca, wie zwischen Debbie und ihr eine Schranke herunterrasselte, wie das Fallgitter von einer Burg. Die Unbeschwertheit, die gerade eben noch von ihr ausgegangen war, löste sich im Nichts auf.
Becca sagte: »Das habe ich nicht gewusst, Chloe. Das ist wirklich traurig.«
»Ja«, erwiderte Chloe. »Er muss sein Leben wieder in Ordnung bringen, sonst muss er sterben, stimmt’s, Grandma? Und unsere Mom …«
»Das reicht jetzt«, schnitt Debbie ihr das Wort ab.
Chloe fing an zu protestieren. »Aber du hast gesagt …«
»Es reicht!«, fuhr Debbie sie an.
Chloe sank auf ihrem Sitz zusammen. Becca sah, dass sie sich schlecht fühlte, so als hätte sie einen schlimmen Fehler begangen.
Da Becca gleich neben dem kleinen Mädchen saß, nahm sie ihre Hand. Sie war warm und feucht und fühlte sich wie die
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