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Whisper

Whisper

Titel: Whisper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Fensterbrett – mit dem erschwerenden Unterschied, dass sie keine Flügel besaß, die sie aus dieser Situation befreien konnten. Niemand, nicht einmal Heiko, hatte jemals zuvor ein solches Gefühl in ihr ausgelöst. Dieses flache Kribbeln in der Brust, dieses Zittern in den Knien, dieses Bedürfnis, ein Fenster aufzureißen, obwohl es doch längst offen stand.
    Dabei sah David sie nicht einmal an. Er musterte nur die Wand, strich mit den Händen über die löchrige Fläche, während Noa verzweifelt nach Worten suchte.
    »Was wollen Leute wie ihr in so einem Dorf?«, fragte David unvermittelt und noch immer ohne Noa anzuschauen.
    »Kat«, sagte sie, dankbar ihre Gedanken auf etwas anderes lenken zu können als auf ihre Unsicherheit.
    »Kat, meine Mutter, wollte hierher. Sie …« Kaum dass Noa angesetzt hatte, hielt sie auch schon wieder inne. Was sollte sie sagen, wie sollte sie das erklären, ohne die Gefühle des Jungen zu verletzen? Kat war an einem Punkt angelangt, an dem sie fast alles haben konnte, was sie wollte, und nun sehnte sie sich nach Einfachheit – wie jemand, der monatelang von Champagner und Kaviar gelebt hatte, plötzlich Heißhunger auf Graubrot mit Leberwurst hat. Kat liebte, Kat brauchte Extreme, und während sie zu Hause in Berlin in Luxus badete, wollte sie jetzt den Gegenpol: eine Dosis Kuhmist sozusagen.
    »Kat braucht es für eine Rolle«, sagte Noa schließlich. »Ihr neuer Film spielt auch auf dem Land und auf ihre Rollen bereitet sie sich meist am besten vor, wenn sie eine Weile so ähnlich lebt wie die Figur, die sie spielen soll.«
    Noa atmete aus, das war wenigstens nicht ganz gelogen. Kats neuer Film, ein Thriller, spielte tatsächlich in einem Dorf, wenn auch nicht in Deutschland sondern in Nordengland.
    »Und du?«, fragte sie David schüchtern. »Wie lange lebt ihr schon hier?«
    David fischte eine Packung Tabak aus seiner Hosentasche »Seit drei Wochen«, sagte er, wobei er seiner Stimme einen amerikanischen Akzent gab. »Wir haben vorher in Paris gewohnt. Jetzt sind wir auf dem Sprung nach Amerika, aber unser Penthouse in Hollywood ist noch nicht fertig, deshalb machen wir hier Zwischenlandung und schaufeln eine Runde Kuhscheiße, bis uns der Privatjet holen kommt.« David steckte sich eine Zigarette in den Mund, zündete sie an und blies den Rauch zu Noa hoch. Erleichtert stellte Noa fest, dass er grinste.
    »Du Idiot«, sagte sie.
    »Danke, gleichfalls«, erwiderte David. Er sah Noa in die Augen.
    Dann griff er nach der Packung Gips und ging zur Tür. Noch ehe er sie öffnete, nahm Noa den Duft wieder wahr. Ganz plötzlich lag er in der Luft und diesmal schien sie nicht die Einzige zu sein, die ihn roch.
    David drehte sich zu Noa um, musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Das Parfüm passt nicht zu dir«, sagte er nüchtern. »Bin gleich zurück, also halt die Stellung und pass auf, dass dir nicht die Decke auf den Kopf fällt, okay?«
    Noa nickte, verwirrt und seltsam aufgedreht zugleich.
    Gegen vier klopfte es unten an der Tür. Gemeinsam hatten Noa und David die Wand verputzt. Immer wieder hatte Noa dabei auf Davids Hände geschaut. Auf seine hellen, feingliedrigen Hände, die ruhig und zielgerichtet arbeiteten, sich ganz auf das konzentrierten, was sie berührten.
    Kat war in die nächste Stadt zum Einkaufen gefahren, danach hatte sie nur einmal kurz den Kopf hereingesteckt, um zu sehen, ob sie klarkamen und um David zum Abendessen einzuladen – was David ausschlug, halb zu Noas Erleichterung, halb zu ihrer Enttäuschung.
    Aber jetzt drang Kats Stimme nach oben. »Hey, Leute, kommt runter, Lieferservice, es gibt frischen Apfelkuchen.«
    Im Flur stand Marie, die Mutter von David. Noa erkannte die Ähnlichkeit zwischen den beiden jetzt genau. Sie hatten dieselben grünen Augen und dieselbe helle Haut, auch wenn Maries Gesicht runder, nicht so kantig war wie das von David. Auch die tiefe Stirnfalte fehlte ihr, dafür kamen Noa die Schatten unter ihren Augen jetzt noch dunkler vor als gestern. In der Hand hielt sie ein Kuchenblech und neben ihr, im Rollstuhl, saß Krümel. Als er David erblickte, klatschte er in die Hände, sabberte, lallte seinen Namen. »Ahiii …«
    »Sehen Sie, Marie?« Kat zwinkerte Davids Mutter zu. »Ihr Sohn will auch zum Kaffeetrinken bleiben. Ich meine, wo kommen wir denn da hin? Sie bringen uns Kuchen und schenken uns nicht Ihre Gesellschaft? Also, ich sage: Ganz oder gar nicht. Was meinst du, Gil?«
    Gilbert nickte und Marie gab lächelnd nach.

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