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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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weg das kostbarste Artefakt der Welt.«
    Leo starrte sie überrascht an. Aber dann warf sie ihre Mähne zurück und fragte: »Was sind die ersten Anzeichen des Hungers?«
    »Es wird einem kalt. Die Hauttemperatur sinkt. Dann verliert man seine Energie, wird träge. So fängt es an.«
    »Soll ich mir eine eigene Lanzette besorgen?«
    Sie klang wie eine Braut, die ihre Hochzeit plante, oder wie eine Schwangere, die über die Kinderzimmer-Einrichtung nachdachte. »Benutze einen Angelhaken.«
    »Einen Angelhaken?«
    »Ja. Ich habe auch jahrelang einen Angelhaken benutzt. Die Lan- zette gehörte meinem Vorgänger. Miriam hat sie mir erst vor kurzem geschenkt.«
    »Deinem ... was meinst du mit ‘Vorgänger’?«
    »Oh, Miri hat es dir nicht erzählt? Wir leben etwa zweihundert Jahre. Das heißt, wenn wir keinen Unfall haben.«
    »Wir sterben?«
    »Oh, nein. Das können wir nicht. Wir enden auf dem Dachboden.« Sie lächelte. »Wie alte Kleider.«
    Leo blickte zur Treppe.

»Miri hat dir nichts erzählt?«
    »Nein.«
    Sie nahm Leos Hand und führte sie nach oben.
    Miriam stand am oberen Treppenabsatz. »Ich dachte, du wolltest ein paar Dinge erledigen, Sarah?«
    »Ein paar Dinge erledigen?«
    »Zum Beispiel Blumen bestellen, für unsere Gäste.«
    »Ich – ja. Ist schon erledigt.«
    »Miri, sterben wir?«
    »Nein, ihr sterbt nicht.«
    »Aber sie sagte –«
    »Was auf dem Dachboden steht, geht dich nichts an. Ebenso wenig meine Bücher. Du fasst die Sachen eines Hüters niemals ohne meineErlaubnis an, verstanden?«
    »Ich dachte –«
    »Du dachtest, bloß weil jetzt mein Blut in deinen Adern fließt, kannst du dir in meinem Haus alles erlauben? Falsch gedacht. Geht runter und bereitet alles für unsere Gäste vor. Und, Sarah?«
    »Ja, Miri?«
    »Pass auf. Pass gut auf.«
    Während Sarah das Blumengesteck arrangierte, das beim Musizie- ren auf dem Piano stehen sollte, faselte Leo davon, welche Leute sie auf ihre ‘Speisekarte’ setzen würde.
    Nach einer Weile herrschte Sarah sie an: »Du bist zu einem Massen- mörder geworden.«
    Leo verstummte.
    »Zumindest wirst du einer werden. In den Jahrhunderten, die vor dir liegen, wirst du tausende Menschen töten. Männer, Frauen, Kinder. Jeder dieser Menschen hat das Recht zu leben, und du wirst ihnen dieses Recht rauben – wirst ihnen das Leben rauben –, weil du ein gieriges, selbstsüchtiges kleines Monster bist!«
    » Sa-rah!«
    »Du bist nicht mehr wert als die Warzen an ihren Fingern! Keinen Deut! Aber deine Arroganz verleitet dich zu der Annahme, dass du nun das naturgegebene Recht hättest, Menschen zu töten! Wenn jemand dieses Recht hat, dann vielleicht Miriam! Du ganz gewiss nicht.« »Dann hast du dieses Recht auch nicht!«
    »Mir wurde das angetan. Ich habe nicht darum gebeten. Du schon, Leo. Du wusstest, was es bedeutet, und doch hast du es dir sehnlichst

gewünscht!«
    Miriam kam dazu. »Miri«, jammerte Leo, »sie ...«
    »Ich habe es gehört«, fauchte Miriam. Sie sah von einer Frau zur an- deren. »Zwei Kanarienvögel im selben Käfig«, sagte sie. »Ihr solltet lernen, miteinander auszukommen, denn ich werde euch nicht aus dem Käfig herauslassen. Ich habe großen Ärger und brauche euch beide. Verdammt, ich bräuchte zehn von euch! Fünfzig! Aber was ich nicht brauche ist irgendwelches Herumgezanke. Ihr werdet als Team zusammenarbeiten, oder ihr werdet beide die Konsequenzen tragen.« Sie sah Sarah an. »Schlimme Konsequenzen.« Sie blickte auf das Blu- mengesteck. »Hübsch«, sagte sie. Dann, zu Leo gewandt: »Du stehst nicht auf einer Stufe mit ihr. Du wirst von ihr lernen und ihre Ratschläge befolgen und auch, während meiner Abwesenheit, ihren Befehlen gehorchen. Verstanden?«
    »Ja, Miri.«
    »Für dich heiße ich Miriam, Kind.« Dann ging sie.
    »Das war deutlich«, sagte Leo.
    Sarah nahm die Violas da Gamba aus den Instrumentenkoffern und stellte zusammen mit Leo die Stühle auf. In den New Yorker Musiker- kreisen wusste man von Miriams erstaunlichem Talent. Doch die meis- ten Leute hatten von ihrer Meisterschaft nur gehört, waren nie in den privilegierten Genuss gekommen, ihrem Spiel lauschen zu dürfen, denn Miriam gab keine öffentlichen Konzerte. Genau genommen trat sie nie auf. Soweit es sie betraf, galt die heutige Aufführung allein ih- rem persönlichen Vergnügen.
    Leo empfing die ausgewählten Gäste und beobachtete, ob ihnen ihre Verwandlung auffiel. Ja, sie fiel ihnen auf – vor allem den Frauen, die bei Dingen wie schönen

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