Whitley Strieber
Händen oder einem glatten Hals immer auf- merksamer waren als Männer.
In den Wochen vor Miriams Abreise nach Thailand hatten Sarah und ihre Herrin LeSieur de Malchys ‘Fünfte Suite für Zwei Violas da Gam- bas’ einstudiert.
Sarah und Miriam begrüßten Maria Sturdevandt. Sie würde am Abend in der Metropolitan Opera die Madame Butterfly singen. Neben ihr stand ihr Kollege Charlie Gorman. Bootsie Ferguson, die Frau des Direktors von Goldman und Sachs, war ebenfalls gekommen. Miriam konnte die meisten Instrumente spielen, sobald sie sie in die Hand nahm, auf dem Klavier, der Viola und der Flöte aber hatte sie wirklich geübt, und diese Intrumente beherrschte sie wahrhaft meister-
lich. Bevor sie Miriam kennen gelernt hatte, hatte Sarah sich nicht viel aus klassischer Musik gemacht. Heute war ihre Viola eine der großen Leidenschaften in ihrem Leben.
Während sie spielte, wanderte ihr Blick durch die kleine, erlesene Zu- hörerschaft. Sie beobachtete Falstaff Rosenkrantz, den Herausgeber des Vanity Fair;er suchte in seinen Taschen nach etwas, das sich als ein Fettstift für die Lippen herausstellte. Seine mächtigen Schultern und die schmale Taille ließen auf saugtaugliche Venen schließen. Sie überlegte, wie er schmecken mochte. Vermutlich nach salzigem Wein. Sie sah, wie elegant Miriams lange, wohlgeformte Hände den Bogen führten und gab sich alle Mühe, ihren eigenen Part mit ähnlicher Meis- terschaft vorzutragen.
Sarah fühlte sich wegen der toten Obdachlosen und wegen Leo schlecht, und Miriam war wegen ihrer Krise ein wenig abgelenkt, doch den Mienen der Zuhörer nach zu urteilen fühlten sich die Leute, als wären sie Zeugen einer meisterhaften Darbietung. Auf die einfüh- rende, tänzerische Allemande folgten im Hauptteil die Sarabande und abschließend das feinfühlige, mehrere Minuten dauernde Menuett. Sie saßen Seite an Seite, Miriam in einem luftigen Sommerkleid aus hell- blauer Seide, Sarah in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover. Auf dem Piano stand ein offener Rotwein, ein fast hundert Jahre alter Latour. Daneben standen edle Kristallgläser und eine zweite, gleich aussehende Flasche. Des Weiteren stand in der zur Hälfte mit Eis ge- füllten Kristallkaraffe auf dem Beistelltisch ein Weißwein, an dessen exquisitem Farbton – hell schimmerndes Gold – zu erkennen war, dass es sich ebenfalls um einen äußerst wohlmundenden und beson- ders kostspieligen Jahrgang handelte. Genau gesagt erlangte der eis- kalte, süße Yquem in seinem vierzigsten Jahr gerade seine volle Reife. Wenn Gäste an diesen Weinen nippten, schlossen sie jedesmal versonnen die Augen.
Das Mobiliar war ebenfalls von erlesener Qualität. Die Stühle, auf de- nen die Gäste saßen, stammten aus dem Klassizismus, zumindest ei- nige. Dabei muss erwähnt werden, dass die Entwürfe dieser Epoche klassischen Modellen der Antike nachempfunden worden waren, und einige der anderen Stühle waren in der Tat Originale, die Miriam seit Jahrtausenden von einem Wohnort zum Nächsten transportieren ließ. Das Holz, das von Sarah und davor von ihren Vorgängern – mit größ- ter Sorgfalt poliert wurde, sah aus wie an dem Tag, als es in den längst gerodeten Wäldern Griechenlands, Italiens und der Levante ge-
schlagen worden war.
Miriam erinnerte sich so gut an die erste Aufführung dieses Stücks, weil es aus einem großen Schmerz heraus komponiert worden war, und auch heute war eine Zeit des Schmerzes.
LeSieur de Malchy hatte sich in Lamia verliebt, und Lamia hatte Spaß daran gefunden, ihn zu ermutigen, ihre Alabaster-Lippen zu küs- sen und sich in ihre stolzen, lachenden Augen fallen zu lassen. Sie hatte ihn verzaubert und der Affäre dann ein jähes Ende bereitet, um ihn in seinem Schmerz seiner Musik zu überlassen. Sie wollte keinen Mann. Sie wollte eine Komposition.
Aus diesem Schmerz heraus war ein Musikstück entstanden, bei dem die uralten Herzen der Hüter dahinschmolzen. Unter den Men- schen hatte es keine große Popularität erlangt, aber wenn Hüter mit- einander musizieren wollten, fiel ihre Wahl unweigerlich auf LeSieur. Die Instrumente, auf denen Miriam und Sarah spielten, hatten LeSi- eur gehört und waren eigens für ihn von dem Londoner Barak Norman gebaut worden.
Während sie spielte, sah Miriam LeSieur und ihre Mutter vor sich sit- zen und das Stück aufführen.
Es war in einem kleinen, von Kerzenrauch vernebelten Raum gewe- sen, dessen goldbeschichtete Wände mit wunderschön gemalten Sze- nen von
Weitere Kostenlose Bücher